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Aleppo

Kaan Orhon
14.12.2016

Aleppo. Ein Kommentar.

„Die Zivilisation scheint nur eine dünne Haut zu sein, die jederzeit zerreißen kann.“ Dieser Satz der deutschen Bürgerrechtlerin Bärbel Bohley bewahrheitet sich immer wieder aufs Neue. Die dünne Haut der Zivilisation zerreißt ständig, überall auf der Welt. Manchmal geschieht es abseits der Weltöffentlichkeit, so dass nur die unmittelbar Betroffenen es erleben und erleiden. Manchmal aber sieht es die ganze Welt. In diesen Stunden mehr denn je schauen viele von uns auf Aleppo. Aleppo ist eine der schrecklichsten Wunden, die das Zerreißen der Zivilisation in der jüngeren Vergangenheit geschlagen hat, wenn auch bei weitem nicht die einzige.

Der technologische Fortschritt ermöglicht es, dass wir quasi in Echtzeit das Leiden dort verfolgen können. Wir hören und sehen was unsere Mitmenschen in ihrer Verzweiflung in diesen letzten Stunden eines vierjährigen Leidens über Telefone und Computer, über Twitter und Facebook in die Welt hinaus senden. Dieser technologische Fortschritt, der auch die Instrumente der Vernichtung ermöglicht hat, die gerade in Aleppo zum Einsatz kommen, hebt sich erschreckend ab von dem fehlenden zivilisatorischen Fortschritt der Menschheit, der dort offenbar wird.
Was bleibt uns angesichts der Zeugnisse des Leidens und der Unmenschlichkeit, die uns erreichen?

MuslimInnen, die wohl die Mehrheit der LeserInnen hier ausmachen werden, mögen die Mahnung unseres Schöpfers beherzigen, Zuflucht in Standhaftigkeit und Gebet zu suchen. Das ist gewiss schwer, außer für die Gottesfürchtigen… Nicht erst in diesen Tagen, schon lange versammeln sich Menschen aller Religionen zu gemeinsamen Gebeten, für Aleppo, für Frieden. Wer glaubt, - für den ist das Gebet nie nur eine Ablenkung von dem Grauen, sondern im Angesicht physischer Ohnmacht zu helfen ein festes Band, welches uns mit den Leidenden verbindet. Ein Akt der Liebe und Menschlichkeit.

Doch Gläubige aller Religionen und Nichtgläubige gleichermaßen können noch mehr tun. Müssen noch mehr tun. Wir müssen im Rahmen unserer Möglichkeit, in unserem nächsten Umfeld dazu beitragen, die verletzliche Haut der Zivilisation, die uns schützt, zu erhalten. Wir müssen Hass und Misstrauen begegnen und Freiheit und Würde jedes Einzelnen achten und verteidigen. Wenn wir das nicht tun, wird das, was in Aleppo und anderswo geschieht, und was in der Vergangenheit auch hier geschehen ist, wieder geschehen. Bei aller leidenschaftlichen Auseinandersetzung über politische und weltanschauliche Fragen muss der gesellschaftliche Zusammenhalt erhalten bleiben, muss ein Mindestmaß an Menschlichkeit und Anstand gewahrt bleiben. Diese Werte sind die Säulen, die uns halten und bewahren vor dem Abgleiten in die Barbarei.

Zu diesem Umgang gehört auch, dass wir uns auch in Zorn und Trauer beherrschen und nicht blind um uns schlagen. Wenn man die tatsächlichen oder vermeintlichen Verantwortlichen für das Leid auf der Welt nicht fassen kann, sucht mancher sich einen Platzhalter. Ein Angehörige einer bestimmten Ethnie oder Glaubensgemeinschaft, jemand mit einer anderen politischen Meinung – oder einfach nur jemand, der scheinbar zu wenig Anteil nimmt werden zum Feind, zum Hassobjekt, das anzugreifen etwas vom Druck nimmt, den die Ohnmacht in uns entstehen lässt. Doch genau das ist der erste Schritt in die Finsternis und in das Grauen von Aleppo.

von Kaan Orhon - Rat muslimischer Studierender & Akademiker
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