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Europa: In Vielfalt geeint ?!

27.03.2012

Einer Studie zur „Wahrnehmung und Akzeptanz religiöser Vielfalt“ zufolge, die in mehreren europäischen Ländern durchgeführt wurde, hat Deutschland im europäischen Vergleich ein schlechtes Ergebnis erzielt. Der Islam wird als eine Bedrohung wahrgenommen, welches sich wiederum auf die Haltung den Muslimen gegenüber auswirkt. Diese Einstellung ist jedoch mit Vorurteilen und Stereotypen behaftet, die ernsthafte soziale Probleme und eine Gefährdung des gesellschaftlichen Friedens nach sich ziehen.

Unter der Leitung des Religionssoziologen Prof. Dr. Detlef Pollack ist – kurz vor der Sarrazin-Debatte – im Sommer 2010 eine Studie zur „Wahrnehmung und Akzeptanz religiöser Vielfalt“ durchgeführt worden. Im Rahmen des Exzellenzclusters „Religion und Politik“ sind je 1.000 Menschen in Ost- und Westdeutschland, Frankreich, Dänemark, Portugal und den Niederlanden hierzu befragt worden. Im Vordergrund standen sowohl die Sicht der Befragten zur westlichen und muslimischen Welt, als auch ihr Verhältnis zu christlichen Fundamenten und die Wahrnehmung des Fremden als Bedrohung.

Aus den erhobenen Daten lässt sich Folgendes festhalten: Auf die Frage wie die persönliche Haltung zu den Mitgliedern des Islams ist, haben die Befragten aus Ostdeutschland zu 62 Prozent mit „eher“ bzw. „sehr negativ“ geantwortet. In Westdeutschland sind es knapp 58 Prozent der Befragten. Der Durchschnitt in den Ländern Dänemark, Frankreich, Niederlande und Portugal liegt bei ca. 35 Prozent. Im Weiteren wurden sie befragt, woran sie beim Stichwort Islam dächten. Dem Stichwort „Benachteiligung der Frau“ stimmten 81 Prozent der Ostdeutschen und 82 Prozent der Westdeutschen zu. In Dänemark (86 Prozent) und in den Niederlanden (80 Prozent) sieht es ähnlich aus. Die Befragten aus Frankreich stimmten zu 68 Prozent zu und liegen somit unter dem Durchschnitt der restlichen Länder. Bei dem Stichwort „Fanatismus“ gab es in Ostdeutschland 70 Prozent und in Westdeutschland 72 Prozent Zustimmung. Außerdem halten 67 Prozent der Ostdeutschen und 60 Prozent der Westdeutschen den Muslimen eine hohe Gewaltbereitschaft vor. Stichworte wie „Friedfertigkeit“, „Toleranz“, „Achtung der Menschenrechte“ und „Solidarität“ fallen in den neuen und in den alten Bundesländern unter zehn Prozent aus. In den anderen Ländern steigen die Werte bis zu 45 Prozent. Daraus lässt sich folgern, dass das Bild der deutschen Bevölkerung über den Islam von Vorurteilen und stereotypischen Erscheinungen der Muslime geprägt ist. Dabei ist die Rolle der Medien durchaus nicht unbedeutend. Aber auch der wenige Kontakt zu Muslimen trägt dazu bei, dass Vorurteile leicht übernommen und nicht hinterfragt werden. Denn die Studie zeigt ebenfalls, dass nur 40 Prozent der Befragten in Westdeutschland und ca. 16 Prozent der Befragten in Ostdeutschland „sehr viel“ bzw. „etwas“ Kontakt zu Muslimen haben. Mehrheitlich haben die Befragten jedoch mit „etwas“ Kontakt geantwortet. In Dänemark liegt der Wert bei fast 60 Prozent, in den Niederlanden etwas über 50 Prozent und in Frankreich bei etwa 65 Prozent. Diese Ergebnisse  spiegeln sich auch im Gesamtbild der Länder zum Thema Islam wider. Frankreich hat unter den untersuchten Ländern das positivere Islambild aufgewiesen. Dies deutet darauf hin, dass je höher der Kontakt zu Muslimen, desto positiver auch das Verhältnis zu ihnen ist.

Aus der Studie ist weiterhin ersichtlich geworden, welchen Einfluss Vorurteile und stereotype Zuschreibungen auf die Einstellung bzw. Haltung einer Mehrheitsgesellschaft gegenüber einer Minderheit haben können. Nun scheint es an dieser Stelle sinnvoll und interessant zu schauen, welche Funktionen Vorurteile für die Mehrheitsgesellschaft erfüllen und welche Folgen sich daraus ergeben. Dabei bietet die Studie „Die Abwertung der Anderen“ von Prof. Dr. Andreas Zick, Dr. Beate Küpper und Andreas Hövemann eine Antwort, die hier kurz zur Veranschaulichung dargestellt werden soll.
Vorurteile haben den Autoren zufolge v.a. sozialpsychologische Funktionen und erfüllen in der Gesellschaft sowohl soziale, als auch individuelle Zwecke.

Es gibt fünf soziale Funktionen von Vorurteilen:

1. Die Entstehung eines Kollektivgefühls. Durch die Abgrenzung zum „Anderen“ wird eine soziale Identität erzeugt und das „Wir“ wird gestärkt. Deshalb werden Minderheiten abgewertet und mitunter als gefährlich dargestellt. Darauf baut auch oftmals politische Propaganda populistischer Natur auf.

2. Die Steigerung des Selbstwertgefühles. Dieser Punkt ist stark mit dem ersten verbunden. Durch die Abwertung des anderen, gewinnt das eigene an Wert.

3. Die Aufrechterhaltung und Legitimation sozialer Hierarchien. Dadurch werden soziale Ungleichgewichte in der Gesellschaft begründet und gerechtfertigt.

4. Ersatz von „Wissen“ und Schaffung von „Orientierung“. Sie machen gesellschaftliche Zusammenhänge verständlich und bieten einen Bezugsrahmen. Insbesondere in Krisensituationen, wie Finanzkrisen und Naturkatastrophen werden sie als Erklärung erzeugt. So werden Fakten ersetzt und Stereotype geschaffen. Dementsprechend werden die Opfer von der Mehrheitsgesellschaft wahrgenommen. Medienmacher bedienen sich dessen in ihren Berichten und verbreiten diese über vielfältige Kanäle weiter.

5. Lenkung von Vertrauen und Misstrauen. Vorurteile und verbreitetes Gedankengut geben den Menschen vor, wem vertraut werden kann und wem nicht.

Was sind nun die individuellen und gesellschaftlichen Folgen von Vorurteilen für die Opfer? Das Thomas’sche Theorem besagt dabei: „Wenn die Menschen Situationen als real definieren, sind sie in ihren Konsequenzen real.“ Die Beispiele dafür in der Vergangenheit sind u.a. die Hexenverbrennungen im Mittelalter und der nationalsozialistische Massenmord an den Juden, den Sinti und Roma sowie anderer stigmatisierter Menschen und Bevölkerungsgruppen. In der Gegenwart sind es beispielsweise antimuslimische Hasstaten wie an der schwangeren Marwa Al-Sharbini begangen oder etwa die Nazimorde der NSU an acht türkischen, einem griechischen Ladenbesitzer und einer deutschen Polizistin. Vorurteile werden als Einstellungen betrachtet und als Weltbilder gefestigt. Diese haben Einflüsse auf die Handlungen und führen zu Diskriminierungen und zu der Rechtfertigung von Gewalt. Je mehr Vorurteile Anklang finden, desto mehr steigt die Wahrscheinlichkeit, dass sie Gewaltakte und Ausgrenzung auslösen, die auch als berechtigt betrachtet werden. Bei den Opfern entsteht ein Gefühl des Bedroht-Seins. Um dagegen ankämpfen zu können oder dem zu entgehen verhalten sich die Opfer in einigen Fällen entsprechend der Klischeevorstellungen, wodurch sich diese in der Wirklichkeit als Self Fulfilling Prophecy bewahrheiten und als Teufelskreis eine sukzessive Verschärfung der Situation auf allen Seiten hervorrufen. Somit werden auf dem Nährboden der Vorurteile und Klischees Weltbilder und Realitäten geschaffen.

Weiterhin wurde in der Studie Pollacks die Frage gestellt, ob alle Religionen respektiert werden sollten. Dem stimmten die Westdeutschen zu 80 Prozent zu und die Ostdeutschen zu 75 Prozent. Die Glaubensfreiheit befürworteten knapp 94 Prozent der Westdeutschen und 87 Prozent der Ostdeutschen.  Die Frage, ob alle religiösen Gruppen gleiche Rechte haben sollten wurde jedoch paradoxerweise von den Befragten in Westdeutschland nur zu 48 Prozent bejaht und in Ostdeutschland zu 53 Prozent. Dementsprechend befürworteten 42 Prozent der Westdeutschen und 55 Prozent der Ostdeutschen die starke Einschränkung der Ausübung des islamischen Glaubens. Fragen, die dabei sicherlich entstehen sind, ob die grundgesetzlich festgeschriebene Glaubens- und Religionsfreiheit der deutschen Bevölkerung nur für das Christentum konzipiert ist oder womöglich auch ob der Islam nicht als gleichwertige Religionsgemeinschaft in Deutschland akzeptiert wird.

Hat Sarrazin wirklich das ausgesprochen, was sich jeder gedacht hat?
 

Von: Feride Celik