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Ein- und Aussichten am Horizont der Mondsichtungskontroverse

07.08.2013

Ursprünglich erschienen in: Hikma, Journal of Islamic Theology and Religious Education, Vol. 5, Oktober 2012, S. 246-56. 

- von Bacem Dziri   
 

 Einleitung

Obgleich der Ramadan ein Monat der Barmherzigkeit und Besinnung ist, wühlen oftmals gerade dann die unterschiedlichen zeitlichen Datierungen zur Bestimmung von Beginn und Ende des Fastenmonats die muslimischen Gemüter auf. Dabei stellen sich nicht bloß alleine diese punktuellen Fragen nach der temporären Definition der Fastenzeit; vielmehr tritt hinter diesem Problem eine ganze Reihe von Grundsatzfragen hervor und drängen auf eine Lösung. In diesem Artikel wird die Frage diskutiert, inwiefern diese Kontroverse als Indikator für tiefer verwurzelte Probleme und deren Lösungen genutzt werden kann.

 

Konsequent weitergedacht verdichten sich bei der Mondsichtungskontroverse einzelne Fäden von miteinander verwobenen Problemen bis hin zu dem Knäuel großer Fragen wie dem Verhältnis des Islams zu der Moderne und der Globalisierung. Aus diesem Grund deutet die alljährlich beklagte Misere um die voneinander abweichenden Zeiten des Ramadanbeginns sowie des darauf folgenden Festes auf Herausforderungen, welche im Grunde genommen das ganze Jahr über bestehen, vielleicht sogar für unsere gesamte Epoche bezeichnend sind. Andererseits steuern die vom Ramadan ausgehenden Kräfte und Einflüsse einen essentiellen Impetus zur Meisterung gerade dieser Probleme herbei. Aus diesem Anstoß heraus soll im vorliegenden Artikel einer spezifischen Frage nachgegangen werden, nämlich jener nach den potentiellen Wirkungen der Kontroverse um die Datierung des Ramadan auf die Verfasstheit der Muslime im Westen. Also jenen Orten, an denen die Unstimmigkeiten verlagert und zeitgleich die eigene Einstimmung erprobt wird. Es soll hierbei weniger um eine inhaltliche Diskussion der verschiedenen Standpunkte in der Mondsichtungskontroverse gehen – solcherlei gibt es bereits reichlich –, als vielmehr um die Implikationen auf politischer, sozialer und weltanschaulicher Ebene, die sich aus diesem Problem für die Muslime im Westen ergeben. Damit wird das Angebot eines Perspektivwechsels unterbreitet, welcher die alljährlichen Kontroversen um den Ramadan herum als Hinweise umfassender Probleme veranschaulicht und zugleich diesen „Monat der Erinnerung“ als Ansporn zu deren Überwindung begreift.

 

Das Aufeinandertreffen der Monde im westlichen Mikrokosmos

 

Schon seit der Frühzeit des Islams sind juristische Meinungsverschiedenheiten (iḫtilāf) unter seinen Anhängern mal Grund für Spannungen und Stagnation, mal Quelle der Flexibilität und Dynamik. Mal wurden sie geduldet oder gar gefördert, mal wirkten sie disharmonisierend. Hinsichtlich der Frage nach der Mondsichtung und der damit zusammenhängenden Datierung von Beginn und Ende des Ramadans, ist gemeinhin der Wunsch zu vernehmen, dass besonders für Muslime innerhalb einer Region, eine einvernehmliche und jeden iḫtilāf ausschließende Einigung (ittifāq) erfolgen soll. So sollen alle Muslime Deutschlands idealerweise das Fasten zusammen beginnen und beenden, sowie zugleich und zusammen das anschließende Fest feiern. Ein iḫtilāf erscheint an dieser Stelle also unangebracht, da die einheitsstiftende Wirkung für die Religionsangehörigen in diesem Falle minimiert und die Gemeinschaft der Muslime durch ihre ethnische Herkunft und Rechtsschulzugehörigkeit gespalten würde, obgleich die Fast- und Festtage übergreifende religiöse Riten sein sollten.

 

Im Westen verdichtet sich der weltweit vorherrschende iḫtilāf in der Frage nach den, für das Fasten im Mondmonat Ramadan und den darauffolgenden Festtagen relevanten Anfangs- und Schlussdaten, zu einer besonderen Spannungssituation: ungeachtet dessen, dass Muslime in ein und derselben Stadt leben, womöglich die gleichen Moscheen besuchen und neben-, mit- und füreinander beten, richten sie sich doch oft nach unterschiedlichen Festzeiten. So kommt es auch nicht selten vor, dass in der unmittelbaren Nachbarschaft Muslime unterschiedlicher Herkunft und/oder Rechtsschulen sich nach dem Land oder der religiösen Autorität richten, mit denen sie sich emotional verbunden fühlen oder in deren Rechtsprechung sie vertrauen und somit an ungleichen Tagen das Fest begehen. Es kommt bisweilen sogar vor, dass es in ein und derselben Familie zu Unstimmigkeiten kommt. Dies ist umso gravierender, als das gerade in der sogenannten Diasporasituation den beiden Hauptfesten des Islams ein sehr bedeutender gemeinschaftsstiftender und identitätswahrender Wert beigemessen wird.

 

Zu den normative Grundlagen bei Bestimmung der Fastenzeit

 

Ohne zu sehr in die juristischen Details zu gehen, seien vorab ausgewählte normative Ausgangspunkte genannt, die der Kontroverse zugrunde liegen. Die Aufforderung zum Fasten im Ramadan ist durch den Koran selbst bestimmt.1 Die Art zur Bestimmung der konkreten Zeitpunkte (mawāqīt) wird allerdings im Koran selbst nicht näher erläutert. Dort heißt es lediglich, „Wer also von euch während dieses Monats anwesend ist, der soll ihn fasten (fa-man šahida minkumu š-šahra fa-l-yaṣumh)“. Weitere Erläuterungen zur Feststellung und Festlegung dieses 9. Monats innerhalb des islamischen Mondkalenders werden durch eine Reihe von als authentisch (ṣaḥīḥ) klassifizierten Überlieferungen des Gesandten (aḥādṯ) beschrieben.                

         

Ausgangstext bei allen systematischen Darlegungen ist zumeist die Aussage des Propheten, wonach die Muslime ihr Fasten beginnen sollen, wenn sie ihn – gemeint ist der Mond – sehen, und ihr Fasten dann brechen sollen, wenn sie ihn nach einem Monat wieder sehen (wörtl.: ṣūmū ʿ li-ruʾyatihī wa afṭirū li-ruʿyatihī). In anderen Versionen wird speziell der Neumond (al-hilāl) genannt. Damit wird zunächst die Orientierung an den Mondphasen zur Bestimmung des Ramadan zugrundegelegt.2 Nicht nur weil das Sehen des Mondes hier explizit genannt wird, war die physische Sichtung des Mondes eine Voraussetzung zur Bekanntgabe eines Monatsbeginns. Vom Propheten wird weiterhin überliefert, dass er sagte, dass seine Gemeinde eine analphabetische Gemeinde ist, welche weder lese noch rechne. Wenn das Sichten des Mondes aufgrund von Wetterbedingungen nicht möglich war, so heißt es in der Überlieferung des Propheten weiter, soll der Monat vor Ramadan, der Monat šaʿbān, auf dreißig Tage festgelegt werden (wörtl.: fa in ġubbiya ʿalaykum fa-akmilū ʿiddata šaʿbāna ṯalāṯīn). In anderen Überlieferungen werden dreißig Tage nicht genannt, dort heißt es dann nur „legt es fest“ (wörtl. faqdurū lah).3 Die Widersprüchlichkeit, die in diesen beiden Aussagen erkannt werden kann, sowie die darauf erfolgenden Auslegungs und- Harmonisierungsversuche sind ein Gegenstand der Kontroverse.                          

 

Die zahlreichen Variationen weiterer Überlieferungen mit zum Teil ausschlaggebenden Zusatzinformationen sollen hier nicht in Gänze aufgeführt werden. Auch weitere Überlieferungen, deren Inhalte sich signifikant von den genannten unterscheiden, können nur in isolierter Betrachtung zu gänzlich anderen Deutungen führen und bleiben daher ausgelassen. Es ist durchaus wichtig, dass die Gesamtheit der Überlieferungen bei der Rechtsfindung systematisch untersucht wird, an der Stelle begnügen wir uns aber mit den genannten Hauptaussagen, die das normative Grundgerüst bilden. Denn aus diesen generieren sich die markanten Rechtspositionen hinsichtlich des Geltungsbereiches und der Methode zur Bestimmung der islamischen Monatszeiten. Die Unterschiede jedoch sind nicht unbegrenzt, denn jede Interpretation muss sich auf die eine oder andere Weise durch den Wortlaut einer Überlieferung decken lassen. Hinzu kommt, dass ein Mindestmaß an Referenz auf frühere Gelehrte notwendig ist, um keinen in der Vergangenheit getroffenen Konsens (iǧmāʿ) zuwiderzulaufen. Alles andere kann sonst keine Legitimation finden, da es sich beim Fasten im Ramadan um eine essentielle und obligatorische gottesdienstliche Handlung handelt, die unmittelbar aus den Hauptquellen abgeleitet wird.

 

Die juristischen Meinungsunterschiede hinsichtlich Beginn und Ende des Ramadans

 

Vereinfacht kann zusammengefasst werden, dass Dreh- und Angelpunkte der hauptsächlichen juristischen Differenzen hinsichtlich der Kontroversen um die Bestimmung von Anfang und Ende des Ramadan sich aus folgenden zwei sich gegenüberstehenden Grundpositionen bilden:

 

a.) Regional- oder globalgültige Sichtung (iḫtilāf aw ittiḥad al-maṭāliʿ)

Maṭāliʿ bezeichnet den Plural von Horizont oder eines Längengrads und die hiermit zusammenhängende Differenz besteht in der Frage, ob eine Sichtung des Neumondes (hilāl) am Horizont einer Region für beliebige und/oder benachbarte andere Regionen ebenso Geltung haben sollte. Beginn und Ende des Ramadan gelten damit entweder für alle geographischen Gebiete oder für einen wie auch immer umfassten Bereich. Müssten bspw. die Muslime in Deutschland fasten, wenn in Frankreich, der Türkei oder etwa in Saudi-Arabien der Mond gesichtet wird oder sollten sie warten, bis in Deutschland der Mond sichtbar wird? An beide Geltungsansprüche folgt eine Reihe von Folgefragen, die von muslimischen Gelehrten erörtert wurden, an dieser Stelle aber ausgelassen werden müssen. Fest steht, dass die meisten Gelehrten in der Frühzeit und im klassischen wie nachklassischen Zeitalter des Islams, jedenfalls vor der Moderne, tendenziell eine für alle Regionen gültige Sichtung (ittiḥad al-maṭāliʿ) favorisierten. Es gab jedoch nie eine alle Rechtsschulen übergreifende absolute Negierung der ausschließlich lokal oder regional gültigen Sichtung.

 

b.) Sichtung oder Berechnung des Neumondes (ruʾyat aw ḥisāb al-hilāl)

Zur Bestimmung des Monats gibt es die Möglichkeit den Neumond entweder zu sichten bzw. sich auf die Zeugenaussage(n) von Jemandes Sichtung zu verlassen, oder aber die theoretische Möglichkeit zur Sichtung wird (allein) mit wissenschaftlichen Methoden berechnet (ohne dass dann eine reale Sichtung mit dem Auge nötig wäre). Bis zur Moderne bildete die Berechnung als Methode allenfalls eine kleine Mindermeinung innerhalb der islamischen Gelehrsamkeit. Sie wurde bestenfalls unter strikten Bedingungen und in Ausnahmefällen (ruḫaṣ) geduldet. Dieses Verhältnis dürfte sich gegenwärtig verändert haben. Viele Gelehrte befürworten heute die astronomischen Berechnungen bei gleichzeitiger physischer Sichtung, andere erachten dessen ungeachtet die bloße Berechnung des Neumondes als ausreichend. Letztere Auffassung scheint eine gänzlich neue in der Rechtsgeschichte zu sein, weshalb sie unter einem erheblich größeren Legitimationsdruck steht.

 

Zwar kommt es gerade bei den Muslimen im Westen durchaus zu Spielarten, die sich aus verschiedenen Elementen dieser unterschiedlichen Grundpositionen zusammen setzen, doch kann gesagt werden, dass heute die Berechnungsmethode in aller Regel mit der globalgültigen Sichtung und die physische Sichtung mit der regionalgültigen Sichtung einhergeht. Ebenso ist aber auch feststellbar, dass früher die gängige Meinung eher die globalgültige physische Sichtung vertrat, während heute faktisch eher die regionalgültige Berechnung favorisiert wird.

 

Eine weitere, wenn auch nicht im gleichen Ausmaß vorherrschende Kontroverse dreht sich um die für das islamische Mondjahr relevante Datumsgrenze (International Date Line) und damit auch verbunden, um den Stellenwert von Mekka als Zentrum der islamischen Welt.4 Mit der Suche nach der richtigen Deutung geht also auch die Frage nach einer zu befolgenden Autorität einher.

 

Alte Probleme in neuen Kontexten

Über die Jahrhunderte hinweg war die Auseinandersetzung hinsichtlich der Bestimmungen zur Datierung des Mondkalenders nie abschließend geklärt.5 In der Moderne jedoch scheint die Debatte unter veränderten Umständen auf, was wiederum zu einer Intensivierung eben dieser führt. Durch das Einsetzen der Neuzeit, Moderne und Postmoderne sowie durch die Auswirkungen der Globalisierung wurden die Verhältnisse des klassisch-traditionellen Diskurses stark in Frage gestellt. Die um ihre Selbstbehauptung ringenden Positionen fechten sich mit neuer Vehemenz und anhand informationstechnologischer Revolutionen gegenseitig an. Prinzipiell ist die Diversität des Islams nie bloß das Produkt einer Textkultur, die Raum für unterschiedliche, gar gegensätzliche Auslegungen bietet, sondern immer auch das Ergebnis einer Diskursivität, die zu allen Zeiten wieder aufkommen kann.6

 

Neu ist im modernen Diskurs die allgemeine Zuversicht in die technologischen Errungenschaften – man könnte auch von einem Primat sprechen – und daraus resultierend der Verlass auf die Genauigkeit astronomischer Berechnungen, die sich zumindest stützend, wenn nicht sogar ersetzend vor die traditionelle Verfahrensweisestellen. Zusätzlich wird zunehmend eine seitens eines Zeugens proklamierte Sichtung des Mondes zurück gewiesen, falls diese aus astronomischer Beurteilung theoretisch im Bereich des Unmöglichen liegt.7 Am Beispiel Ägyptens lässt sich die Auswirkung dieses modernen Ansatzes anhand renommierter Gelehrter wie etwa Muḥammad Baḫt al-Muṭīʿī (gest. 1354/1936), Ṭanṭāwī Ǧawharī (gest. 1359/1940), Muḥammad b. Muṣṭafa al-Marāġī (gest. 1364/1945) und Aḥmad Muḥammad Šākir (gest. 1377/1958) nachzeichnen. Letzterer verfasste im Jahre 1939 eine Abhandlung mit dem Titel „Awāʾil aš-Šuhūr al-ʿArabiyya“, in der er sich nicht allein für die Möglichkeit eines auf wissenschaftlichen Berechnungen ruhenden Kalenders aussprach, sondern darüber hinaus auch für dessen Notwendigkeit. Šākir wurde seinerzeit für seinen Ansatz heftig kritisiert, heute allerdings neigen immer mehr Gelehrte zu dieser Auffassung.8

 

Eine weitere tiefgreifende Veränderung des Diskurses ist der revolutionären Innovation moderner Medien geschuldet. Vom Radio angefangen bis hin zum Internet mit seinen heute sehr vitalen virtuellen sozialen Netzwerken erfährt die Distribution von Informationen zuvor unbekannte Ausmaße. Noch Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts wurde die Verbreitung der Nachricht von der Sichtung des Neumonds mittels Radio oder Telefon vielerorts schlichtweg nicht anerkannt.9 Heute hingegen ist es kaum vorstellbar, dass via Internet gemeinsame Fragen nicht kontrovers diskutiert oder der Beginn des Ramadan nicht online verkündet werden. Damit stehen die alten und neuen Fragen einer zuvor unbekannten Anzahl von antwortenden Stimmen gegenüber, wodurch die Linien des iḫtilāf-Diskurses neu gezogen werden und Differenzen sowohl zwischen den Gemeinden als auch innerhalb dieser verstärkt entstehen.10 Dabei ändern sich letztlich auch die Konzeptionen des Wissens und die Vorstellung vom Ideal einer religiösen Autorität (ʿālim), wobei die Etablierung von modernen Gegenautoritäten zu erheblichen Verstimmungen führen kann. So werden die traditionellen Bestimmungen aufgeweicht, die zuvor beispielsweise innerhalb von Landesgrenzen oder von Familien Geltung fanden.

 

Im Kontext der Globalisierung stellt sich für die Muslime in den westlichen Ländern aufgrund ihres Migrationshintergrundes außerdem die Frage, nach welcher Maßgabe sie sich in religiösen Belangen richten sollen. Während in den Ländern mit muslimischer Mehrheitsbevölkerung auf nationaler Ebene die religiös relevanten mawāqīt weitestgehend durch die jeweiligen Staaten oder den mit ihnen verbundenen religiösen und/oder politischen Einrichtungen geregelt werden, existiert eine solch übergreifende Regulierung in den westlichen Ländern nicht. Dieser Sachverhalt wiederum wird von einigen Gelehrten unter dem Stichwort des iḫtilāf al-maṭāliʿ (der unterschiedlichen Datierung in verschiedenen Regionen) legitimiert, andere wiederum lehnen diesen ab. Beide Argumentationsrichtungen können sich auf Traditionsstränge beziehen, die sich aus der islamischen Geschichte entwickelt haben. Entscheidend ist in diesem Zusammenhang für die Muslime im Westen, dass ihnen eine solche amtliche Normierung fehlt. Eine weitestgehende Einigung auf nationaler Ebene durch entsprechende Institutionen innerhalb der westlichen Länder hängt nicht unbedingt von der jeweiligen Religionspolitik des Landes ab.11 Fehlt es an einer legitimierten Autorität, kann der Grundsatz innerhalb der Rechtsmethodologie (uṣūl al-fiqh), wonach das Urteil der autoritären Instanz die unterschiedlichen Ansichten aufhebt (ḥukm al-ḥākim yarfaʿu al-ḫilāf) nicht greifen.12 Anders als bei Muslimen der herkömmlichen Herkunftsländer gibt es in der neuen Lebenswelt der Muslime in Europa keine weitläufig anerkannten institutionalisierten Autoritäten, welche die Festtage bestimmen und die Allgemeinheit der Muslime entsprechend schulen. Während die Bestimmungen zum Opferfest aufgrund der aus allen Teilen der Welt nach Mekka und zurück pilgernden Muslime weniger Kontroversen hervorbringen, gestaltet sich die Einigung auf ein Datum beim Ramadan-Fest schwieriger.

 

Und so kommt es, dass gerade zum Ramadan – dem Monat der Barmherzigkeit – jedes Jahr Debatten oder zumindest Fragen und Unsicherheiten auftreten, welche die Freude auf das anstehende Fest trüben können. Die Folge ist eine alljährliche Verwirrung bis hin zu Streit und Frustration ob der Unstimmigkeiten, die gerade an den Festtagen aufkommen. Schließlich gehören das Fasten im Ramadan sowie die Pilgerfahrt (ḥaǧǧ) im 12. Mondmonat (ḏu-l-ḥiǧǧa) zu den fünf Säulen des Islams. Anders als beim muslimischen Opferfest, dem der ḥaǧǧ folgenden Festtag des ʿīdu l-aḍḥā, bei dem sich oft nach der ḥaǧǧ und den Pilgern orientiert wird, gibt es beim Zuckerfest (ʿīdu l-fiṭr) kein regionsübergreifende Merkmal zu eindeutigen Bestimmung.13 Selbst die Synchronisierung des ʿarafa-Tages und des ʿīdu l-aḍḥā mit den in Saudi-Arabien getroffenen und an diese gebundenen Datierungen sind nicht unumstritten.14 Doch auch wenn die Quellenlage hinsichtlich der Orientierung an die Pilger, - und damit an Saudi-Arabien - spärlich erscheinen mag und einige Vorbehalte gegenüber der weltweiten Synchronisierung der ʿid al-aḏḥā-Datierung mit der Pilgerfahrt (ḥaǧǧ) bestehen, erscheint diese Option vielen Muslimen dennoch plausibel und vor allem praktikabel. Außerdem folgt man darin einer autoritativen Menge, und zwar einer nicht unbedeutenden, nämlich der „Delegation Gottes“ (wafdu-l-llāh), also den Mekka-Pilgern. Schließlich würden nur wenige Pilger gerne zu hören bekommen, dass sie aufgrund astronomischer Kalkulationen zu einem falschen Tag an ʿarafa standen und ihre ḥaǧǧ somit zumindest formell gesehen ungültig sei. Dennoch wird die oft willkürlich erscheinende Bestimmung des ʿid al-aḏḥā häufig kritisiert und nicht selten auch als Missbrauch gewertet.Bezüglich des Opferfestes herrscht zwar auf globaler Ebene auch keine Einigung, doch hier neigen viele Staaten dazu, sich nach Saudi-Arabien zu richten, um den Pilgern ihres jeweiligen Landes entgegen zu kommen. Diese Notwendigkeit scheint hinsichtlich des Ramadanfestes weniger gegeben. Die Kontroverse um die unterschiedlichen Möglichkeiten zur Datierung der Festtageverlagern sich nun in die „Diasporaländer“. Diese stehen nun vor der Herausforderung diesen Unstimmigkeiten zu begegnen. Dies geschieht zuweilen auch in einem völligen Unverständnis für die Religionspolitik ihrer jeweiligen Herkunftsländer. Hinzu kommt die vorherrschende Verwirrung bei den autochthonen Muslimen, die zum Islam konvertiert sind und bei den Kontroversen nicht wissen, wonach sie sich richten sollen. Daher streben nicht wenige Muslime nach einer einheitlichen, zumindest abgestimmten globalen Regelung. Es ist kein Geheimnis, dass die Unstimmigkeiten der muslimischen Länder sich oftmals auf handfeste politische und weit weniger auf religiös bedingte Ursachen zurückführen, die dann auf Kosten der Muslime in Europa ausgetragen werden. Diese Problematik ist möglicherweise vielen Muslimen in den islamischen Ursprungsländern nicht in all ihren Ausmaßen bewusst, da ihre jeweiligen Staaten ihre Feste auf nationaler Ebene regulieren. Für Muslime im Westen jedenfalls bleibt auf Dauer die stete Empörung allein höchst unbefriedigend.

 

Neue Antworten in neuen Kontexten

Die Kontroversen wurden augenscheinlich bis heute nicht beigelegt. Die inhaltlichen Argumente der jeweiligen Positionen sollen auch an dieser Stelle nicht im Vordergrund stehen. Es soll hier genügen zu erwähnen, dass es sich bei diesen Positionen um legitime Formen der Rechtsfortbildung (iǧtihād)15 handelt, die zwar von Grund auf hinterfragt werden können, aber immerhin zumindest eine potentielle Richtigkeit in sich tragen.16 Wichtiger ist im Folgenden die Skizzierung praktischer Lösungsversuche, die von Muslimen im Westen beschritten werden können.

 

In Amerika beispielsweise gab es einige Gemeinden, die sich zu Beginn und Ende des Ramadans nach bestimmten muslimischen Ländern richteten, andere die ihre eigene Sichtung mit dem Auge nach traditioneller Art bevorzugten und wieder andere, die sich allein auf Berechnungen stützten. 1993 gab es dann eine Konferenz, die sich dieser Problematik widmete und zu einem zunächst weitläufig akzeptierten Ergebnis kam: Beginn und Ende des Ramadan sollen sich nach der Mondsichtung richten, sofern diese nicht astronomischen Berechnungen wiederspricht.17 Im Laufe der Jahre und nach nie ganz zum Ende gekommenen Kontroversen kam es dann zu einer institutionellen Umstellung auf einen rein rechnerisch erstellten Mondkalender. Daran hatte der an die Islamic Society of North America (ISNA) angegliederte Fiqh Council of North America (FCNA) einen entscheidenden Anteil. 2006 rief nämlich dieser zur allgemeinen Umstellung auf einen wissenschaftlich berechneten Kalender auf. Ein Jahr darauf änderte der FCNA die mathematischen Parameter der Berechnungsmethode und folgte dabei dem Aufruf des European Council of Fatwa and Research (ECFR), der wiederum einer der saudischen Administration dienenden Berechnungsmethode des Mondkalenders folgte.18 Die Entscheidung des ISNA wurde allerdings nicht kritiklos übernommen, viele Gemeinden richteten sich faktisch nicht danach und prominente Autoritäten fechteten sie wortstark und mit gewichtigen Argumenten an.19 Diese Kritiken ließen wiederum nicht lange auf eine Antwort warten20, und obwohl sich die Positionen substantiell nicht verändert haben, gibt es Versuche in Anbetracht eines höherwertigen Gemeinwohls (maṣlaḥa) aufeinander zuzugehen.21

 

In Europa haben bis zum Jahre 2007 die Länder Frankreich, Holland und Belgien eine koordinierende Instanz zur Ermittlung der astronomischen Möglichkeiten für eine Mondsichtung bzw. für die Festlegung der Monatsdatierungen gehabt. Da im gleichen Jahr die Maßgaben des ECFR erschienen sind, bei dem eine Einigung entsprechend wissenschaftlicher Erkenntnismöglichkeiten nahe gelegt wurde, orientierten sich in Deutschland einige arabischsprachige Moscheen danach. Hier hat der einzige von Muslimen arabischer Herkunft dominierte Verband, der Zentralrat der Muslime (ZRM), im Jahre 2008 zu einer Einigung hinsichtlich der Monatsdatierungen mit den anderen drei großen, türkisch geprägten Verbänden gefunden.22 Sie alle sind seit 2007 im Koordinationsrat der Muslime in Deutschland (KRM) zusammengeschlossen. So ist in dem europäischen Land mit den meisten türkischen Einwanderern erstmals eine Einigung auf nationaler Ebene unter den maßgeblichen Verbänden in Deutschland gelungen, also ca. ein halbes Jahrhundert nach der Präsenz einer größeren Anzahl von Muslimen in Deutschland. Zuvor gab es selbst unter den türkischen Verbänden Uneinigkeiten. Mit diesem Beschluss entsprachen die Verbände dem immer wieder besonders an Ramadan wiederkehrenden Wunsch vieler Muslime nach Vereinheitlichung ihrer religiösen Feste. Allerdings konnte sich der Beschluss dieser Verbände faktisch nicht überall durchsetzen. Noch sind emotionale Bindungen an die Heimat- bzw. Herkunftsländer stark und zuweilen sind auch Vorbehalte gegen die Genauigkeit des erarbeiteten Verfahrens vorzufinden. Seit 2010 schaltet sich ein Verein mit dem Namen „Der hohe Rat der Gelehrten und Imame in Deutschland“ (HRGID) in die öffentliche Diskussion ein und vertritt dort einen dem KRM entgegengesetzten Kurs.23 Auch die Onlineplattform Mondsichtung.de geht 2012 nicht mit den Bestimmungen des KRM konform.24 Doch auch in Deutschland hängen einige Gemeinden und Meinungsträger mit divergierenden Ansichten zum KRM diese hinten an, um dem höheren Ziel der Harmonisierung der muslimischen Gemeinschaft innerhalb Deutschlands zum Ramadan nicht im Weg zu stehen.25

 

Einsichten und Aussichten

Die ordentliche Umsetzung einer jeden Säule des Islams hat tiefgreifende Auswirkungen für das allgemeine Leben einer muslimischen Gesellschaft. Eine oberflächliche Auseinandersetzung mit der Datierungsproblematik, immer dann, wenn sie akut wird, täuscht über hinausgehende Herausforderungen hinweg: Die Voraussetzungen für eine befriedigende Lösung liegen nicht im Versuch sich auf eine Methode der Datierung zu verständigen, denn wie man es auch wendet, es wird immer unterschiedliche Ansichten dazu geben. Über 1400 Jahre Geschichte und die jüngsten Entwicklungen in den westlichen Ländern müssten hierfür Lehre genug sein. Die in den letzten Jahren eingeschlagenen Wege, Regelungen für eine Einigung im Ramadan zu finden, sind insgesamt relativ jung und werden Zeit brauchen, sich zu bewähren. Andere Voraussetzungen zur Bewältigung der Ramadan-Datierungsproblematik werden zwischen den Fastenzeiten von der muslimischen Allgemeinheit vergessen oder vernachlässigt. An jedem Ramadan erinnert uns dieser Monat jedoch nicht nur an die notwendige spirituelle Wiederbelebung, sondern auch an die vernachlässigten Bedingungen zur Lösung genereller Schwierigkeiten. Und vielleicht liegt in jener spirituellen Erhebung der nötige Impuls zur Bewältigung dieser Schwierigkeiten. In gewisser Weise liegt damit in der Unzufriedenheit über vergleichsweise weniger belastende Missstände eine Chance, viel gravierendere Miseren zu lösen. Dieser Verarbeitungsprozess wird nicht zuletzt auch durch die Uneinigkeit an Ramadan angestoßen und lässt sich anhand der Entwicklungen der Muslime im Westen sehr gut beobachten.

 

So wird z.B. im Verlauf der Auseinandersetzung mit den Mondsichtungsdebatten allen voran eine Neuevaluation der Selbstverortung und des Selbstverständnisses der Muslime im Westen ausgeführt. Unlängst wurde die polarisierende Aufteilung der Welt in „Haus des Islams“ (dār al-islām) und „Haus des Unglaubens“ (dār al-kufr) in Frage gestellt.26 Diese Weltsicht, die auffallende Parallelen mit den Kulturkampftheorien vorweist, wird heute von muslimischen Gelehrten historisiert: Sie ist das Ergebnis einer von gänzlich anderen geopolitischen Rahmenbedingungen bestimmten Welt. Die heutige Welt jedoch steht unter den Vorzeichen der Globalisierung und transnationaler Bezüge. Ein beachtlicher Anteil der Muslime auf der Welt lebt außerhalb der traditionellen Kernländer und oftmals auch in einer Minderheitensituation. Es ist ein zu beobachtendes Phänomen der Muslime im Westen, das konstruktive Ideen schnell auf fruchtbaren Boden stoßen, zügig zirkulieren und letztlich eine für sie kennzeichnende Dynamik entwickeln. Die Erfahrungen der Muslime im Westen üben einen unmittelbaren Einfluss auf deren Verständnis des Islams selbst und dies auf mehreren Ebenen;

(…) as a concept, as a theory, as a system of values, as a theology and as an orthodoxy. This is a debate which has left to the collective responsibility of Muslim communities. (…) The history of Europe has become at least partly, Islamic history, and the history of Islam, European history“27.    

Im Zuge der Mondsichtungsproblematik vollzieht sich auf lange Sicht daher wahrscheinlich eine gewisse Emanzipierung von den jeweiligen Herkunftsländern, möglicherweise ohne den emotionalen Bezug zu diesen abzuwerfen. Dies drückt sich bspw. in diversen Gremien aus, die zur Lösung dieser Probleme geschaffen wurden. Dauerhaft kann ein Beitrag der Muslime im Westen für die islamische Welt als Ganzes nur in dem Maße erfolgen, wie Erstere sich selber helfen und von den Altlasten der Diaspora zu lösen vermögen. Ob es zu einer breiten mehrheitlichen Orientierung der Muslime in Europa an der berechenbaren Methode des ittḥād al-maṭāliʿ kommt oder vereinzelt auch der iḥtilāf al-maṭāliʿ favorisiert wird; in beiden Fällen führt die Entscheidung, die von der Kontroverse abverlangt wird, zu einer bewussten Verortung in einem europäischen Kontext und somit zu einer Profilierung einer ausnehmend europäisch-islamischen Identität.  

 

Gemäß ihrer Selbstverortung wird diese ein ihr eigenes Verständnis für jeweilige Prioritäten herausbilden müssen. Dazu gehört neben der Profilierung einer europäisch-islamischen Identität ein mit ihr einhergehender Sinn für die europäische Gemeinschaft. Das Abreiben gegensätzlicher Standpunkte bei der Mondsichtungskontroverse ohne befriedigende Einigung zwingt immer mehr Muslime dazu, dem Gemeinwohl (maṣlaḥa) und dem Zweck (maqṣad), in diesem Fall die Einheit, eine höhere Priorität einzuräumen und die eigene Position zugunsten einer erachteten Mehrheit hinten an zu stellen. Mit dieser Interessenabwägung gibt sich in der Regel dann auch die Mehrheit zufrieden. Dagegen stimmen meist solche Geister, die alle weiteren Interessen der Gesellschaft dem Urteil einem wie auch immer gearteten Verständnis von Rationalität opfern möchten28 oder solche, die nicht nur für sich selbst einer streng legalistischen Deutung folgen möchten, sondern auch andere dazu zu zwingen wollen. Beiden ist gemeinsam, dass sie kategorisch nur ihre Methode als zulässig anerkennen und eben diese nicht im Lichte der Gesamtsituation bewerten und ggf. angesichts höherer Interessen hinten anstellen. Diese Erscheinungen werden sich bei gleichzeitiger Formierung einer ihnen gegenüber stehenden Mehrheit selbst isolieren.

 

So gelangt die Einheit zu einem gemeinhin anerkannten höheren Wert, der selbst tief in den islamischen Normen und der Jurisprudenz verankert ist. In einer gerne zur Beilegung gegensätzlicher Standpunkte in der Mondsichtungskontroverse zitierten Prophetentradition heißt es: Das Fasten gilt (ab dem Zeitpunkt), an dem ihr zu Fasten pflegt (wörtl.: aṣ-ṣawmu yawma taṣūmūn).29 Die Rechtsgelehrten und Exegeten erklärten damit, dass die Gültigkeit des Fastens daher an den Beschluss der faktischen Autorität der Muslime oder an den der Mehrheit gebunden ist. Selbst wenn bei Einzelnen ein Gewissensproblem vorliegt, weil man eine von der Allgemeinheit abweichende Gewissheit hat oder ein Zugereister ist, der sich noch an andere Datierungen halten will, soll der Betroffene in diesem Fall es für sich selbst so handhaben, wie er es für nötig hält, ohne jedoch Unruhe bei der Allgemeinheit zu stiften, damit die Harmonie in der Gemeinschaft gewahrt bleibt.

 

Neben einer gesunden Selbstverortung, der Herausbildung eines Sinnes für die Gemeinschaft und das Verständnis für ihre Prioritäten können weitere positive Folgeerscheinungen gefördert werden. Nicht zuletzt die Beziehung zu der Zeit, das Selbstverständnis innerhalb der islamischen Zeitrechnungen und der Schöpfung30 kann gestärkt werden. Die Beschäftigung mit dem Mondjahr spielte in der muslimischen Diaspora in der Vergangenheit kaum eine Rolle. Die Feiertage bemessen sich noch oft allein nach der gregorianischen Zeitrechnung, die Namen der Mondmonate sind meist unbekannt und selbst die Zählung der islamischen Zeitrechnung ist vielen Muslimen im Westen fremd. Doch das Interesse am islamischen Kalender im Westen scheint sich in den letzten Jahren verstärkt zu haben.31 Ein Auslöser dafür kann auch die Beschäftigung mit der Mondsichtungskontroverse sein.

 

 Schlussbetrachtung

Die dargelegten Impulse bilden gerade angesichts der Globalisierung nicht nur für Muslime im Westen eine Chance. Es wäre wünschenswert, wenn der Ramadan als Anlass dafür genommen wird, grundsätzliche Probleme anzuvisieren. Die Mondsichtungskontroversen um den Ramadan herum können genutzt werden, um bei den Muslimen ein Bewusstsein für tiefer liegende Ursachen für die Beständigkeit dieses Problems zu schaffen, der diese dazu bewegt, diese anzugehen, und zwar nicht nur am Ramadan, sondern sechs Monate in Vorbereitung und sechs Monate in Nachbereitung darauf. Sicher würde dies nicht nur zu einer recht schnellen Lösung der Datierungsunstimmigkeiten führen.

 

Die Nutzen aus der Kontroverse lassen sich außerdem nicht auf die zuvor aufgezählten beschränken. Beispielsweise die Feststellung von Mehrheitsverhältnissen und die Legitimierung von Autoritäten in islamischen Belangen erfordert die Etablierung demokratischer Vertretungsstrukturen, die sich in Deutschland in der Form noch nicht herausgebildet haben. Eine bei den Fastenzeiten nach der Mehrheit der Gelehrten und/oder der Muslime zu erfolgende Orientierung wäre   durchaus realistisch. Die Beschäftigung mit der Mondsichtungskontroverse kann daneben für den Pluralismus innerhalb des Islams sensibilisieren.32  

 

 

1Koran: 2/183-185: Oh die ihr glaubt, vorgeschrieben ist euch das Fasten, so wie es denjenigen vor euch vorgeschrieben war, auf dass ihr gottesfürchtig werden möget. (Vorgeschrieben ist es euch) an bestimmten Tagen. Wer von euch jedoch krank ist oder sich auf einer Reise befindet, der soll eine (gleiche) Anzahl von anderen Tagen (fasten). Und denjenigen, die es nur schwer zu leisten vermögen, ist als Ersatz die Speisung eines Armen auferlegt. Wer aber freiwillig Gutes tut, für den ist es besser. Und dass ihr fastet, ist besser für euch, wenn ihr (es) nur wisst! Der Monat Ramadan (ist es), in dem der Koran als Rechtleitung für die Menschen herab gesandt worden ist als Rechtleitung und klarer Beweis der Rechtleitung und der Unterscheidung. Wer also von euch während dieses Monats anwesend ist, der soll ihn fasten, wer jedoch krank ist oder sich auf einer Reise befindet, der soll eine (gleiche) Anzahl von anderen Tagen (fasten). Allah will für euch Erleichterung; Er will für euch nicht Erschwernis, - damit ihr die Anzahl vollendet und Allah als den Größten preist, dafür, dass Er euch rechtgeleitet hat, auf dass ihr dankbar sein möget.  

2Allgemein besteht für religiöse Belange und für die Islamische Zeitrechnung seit jeher der Mondkalender. Unter Bezugnahme auf den Koran 9/36 und 2/189 gilt dieser besonders für die Riten als entscheidend.

3Alle in diesem Absatz erwähnten Überlieferungen finden sich sowohl bei al-Buḫārī und bei Muslim.

4Der Bau des Hochhauskomplexes Abrāǧ al-Bayt gegenüber der Kaaba mit der markanten Uhr an dessen Höhe kann durchaus als Signal um einen Anspruch auf Deutungshoheit in diesem Bereich verstanden werden.

5Zur Debatte in der klassischen Zeit vgl. Zulfiqar Ali Shah: The Astronomical Calculations and Ramadan: A Fiqhī Discourse, Herndon (Virginia), 2009, S. 85-91

6Vgl. Marco Schöller: Wahrheit und Methode in der Islamwissenschaft , Wiesbaden, 2000, S. 66/67.

7Etliche Studien befassten sich rückwirkend mit den Verkündungen von religiös relevanten Datierungen der letzten Jahrzehnte in verschiedenen arabischsprachigen Ländern. Dabei wurde festgestellt, dass aus astronomischer Sicht, die Ausrufungen zu den Festen oder zu Beginn des Ramadans nur in den wenigsten Fällen möglich waren. Auffällig an den Studien ist die vergleichsweise hohe Korrektheit der Datierungen in Marokko, wo mehrere ausgebildete und offizielle Beobachter zu den relevanten Zeiten sich auf die Minarette begeben, um von dort gemeinsam den Mond mit dem bloßen Auge zu sichten. Vgl. dazu das Interview mit dem Präsidenten des Islamic Crescents' Observation Project (ICOP), Aḥmad Šawkat ʿAuda, in der Sendung „Bilā Ḥudūd“ vom 3.1.2008 auf al-Jazeera, http://www.aljazeera.net/programs/pages/c35041f7-b595-451b-a735-08a85172... (zuletzt eingesehen am 28.9.2012).

8Vgl. Ebrahim Moosa: Aḥmad Shākir and the Adoption of a Scientifically-Based Lunar Calendar, in: Islamic Law and Society, Vol. 5, No. 1 (1998), S. 57-89. In anderen Teilen der islamischen Welt dürfte sich der Wandel nicht weniger problematisch ereignet haben. Von Karachi wird berichtet, dass die Menschen nachdem die dortige Regierung die Zeit des Fastenbrechens mittels astronomischer Berechnungen verkündet hat, auf den Straßen mit dem Slogan „Heute ist das ʿīd der Regierung, morgen ist das Fest der Muslime“ umhergingen, siehe Annemarie Schimmel: Das Islamische Jahr – Zeiten und Feste, München, 2002, S. 109.

9Dazu einige Beispiele aus Pakistan bei N. Hanif: Islam and Modernity, New Delhi, 2997, S. 344/345; Moosa: Aḥmad Shākir and the Adoption of a Scientifically-Based Lunar Calendar, S. 69.

10Vgl. Dazu Lorne L. Dawson/Douglas E. Cowan: Religion online: finding faith on the Internet, New York, 2004, S. 119.

11In Österreich bspw. ist der Islam als Religion und als Körperschaft des Öffentlichen Rechts anerkannt, dennoch gibt es keine durchgehende Einigung auf den Beginn von Ramadan, vgl. dazu die Ergebnisse der Studie von Kerstin Tomenendal /Sena Doğan/ Valeria Heuberger: Ramadan in Österreich, Klagenfurt, 2009. Dennoch dürfte sich auf dieser Grundlage und im Vergleich zu anderen westlichen Ländern eine Einigung erheblich leichter gestalten lassen.

12Hier sei daran erinnert, dass die heute allgemeingültige Anwendung des Gregorianischen Kalenders eine Umstellung war, die durch die Autorität des Papstes Gregor XIII im Jahre 1582 verordnet wurde.

13Die Organization for Islamic Cooperation (OIC) versucht diese Lücke politisch zu füllen und hat hinsichtlich dieser Problematik mehrere Konferenzen veranlasst. 1978 hat die OIC Prinzipien ausgearbeitet, die dem Problem Abhilfe schaffen sollenDer OIC ist es allerdings bisher nicht gelungen, ihren Anspruch zu realisieren als transnationale Autorität unter Muslimen akzeptiert zu sein. Jedenfalls genießt die Ḥaǧǧ, welche vornehmlich von Saudi-Arabien organisiert wird, eine weitaus höhere Autorität.

14Von dieser Kontroverse zeugen mehrere Stellungnahmen, beispielsweise die Ausführungen Aḥmad Shākirs, siehe dazu Moosa: Aḥmad Shākir and the Adoption of a Scientifically-Based Lunar Calendar, S. 70 und S. 85, so auch das in jüngerer Zeit das von Zulfiqar Ali Shah erstellte Gutachten: Eid al-Adha is connected with Hajj, o.O/o.D.

15Bei genauerer Betrachtung zeigt sich, dass die Gründe für die Meinungsunterschiede (asbāb al-iḫtilāf) neben nicht zu nivellierenden historischen und politischen Gründen, auch religionsrechtlicher und methodischer Natur sind. Während die einen eher nur die Möglichkeit einer dem Wortlaut treuen Deutung sehen, meinen die anderen die ratio legis (ʿillā) hinter den Geboten Gottes zu erkennen. Die ratio legis selbst wiederum wird von den Gelehrten unterschiedlich eingeschätzt. Die einen sehen in dem Sichten selbst einen Akt des Gottesdienstes, die anderen sehen darin nur das Mittel zur Ermittlung des eigentlichen Grundes, die Festlegung der mawāqīt durch das Hervortreten des Neumondes. Ferner liegt eine unterschiedliche Beurteilung in der Begründung für die Aufforderung zum Aufzählen auf dreißig in jenem Fall vor, dass der Mond nicht gesichtet wird. Die einen sehen in der ummī-Eigenschaft der damaligen Gesellschaft den Grund, die anderen sehen ihn in der ġummī-Eigenschaft der Atmosphäre. Hinzu kommen die linguistischen Ursachen hinsichtlich der Begriffe wie hilāl oder Ausdrücken wie faqdurū lah.

16Zur rechtsmethodologischen Diskussion um die Frage, ob jeder muǧtahid Recht hat, siehe Birgit Krawietz, Hierarchie der Rechtsquellen im tradierten sunnitischen Islam, Berlin, 2002, S. 327-352.

17Vgl. lyas Ba-Yunus,Kassim Kone: Muslims in the United States, Westport (Connecticut), 2006, S. 148.

18Vgl. Vernon James Schubel: Islamic Calendar, in: Edward E. Curtis: Encyclopedia of Muslim-American History, New York, 2010, S. 286/87; zur Auseinandersetzung mit dieser Thematik durch den Vorsitzenden des ECFR, siehe: Yūsuf al-Qaraḍāwī: Approaching the Sunnah: Comprehension and Controversy, Herndon, 2006, S. 146-155.

19Hierzu wurde eine Konferenz einberufen, deren Mitglieder eine Resolution verabschiedet haben, in der sie sich weiterhin für das Sichten des Mondes aussprachen. Zu den Kriterien der Gültigkeit dieser Sichtung gehört jedoch auch die Übereinstimmung mit einigen astronomischen Paradigmen, siehe: Ahsan Irfan: National Moonsighting Conference, San Jose (California), 2007, www.ramadan.co.uk/san-jose-07.pdf (zuletzt eingesehen am 18.3.2012); Vgl. zu dieser Position auch die Ausführungen von Mokhtār Maghrāoui: An Islamic Legal Analysis Of The Astronomical Determination of Beginning of Ramaḍān, o.O., www.zawiyah.net/paper.pdf (zuletzt eingesehen am 18.3.2012), 2007, Hamza Yusuf: Caesarean Moon Births: Calculations, Moon Sighting, and the Prophetic Way, o.O., 2006.

20Unter anderem in Erwiderung auf die der Fußnote zuvor erwähnten Kritik vgl. Zulfiqar Ali Shah: The Astronomical Calculations and Ramadan: A Fiqhī Discourse, Herndon (Virginia), 2009

21So ist etwa auf einer von Zaid Shakir mit betreuten Homepage, die dem Zweck der Förderung des lokalen Sichtens verfolgt, eine in Anbetracht der Umstände erfolgte Umstellung auf das globale Sichten zu vernehmen, siehe: Imam Zaid on the Crescentwatch Policy Change, http://www.crescentwatch.org/cgi-bin/cw.cgi?action=ART&subaction=viewdet... (zuletzt eingesehen am 18.3.2012). Allerdings scheint dieser Kompromiss nicht mehr als eine Ausnahmeregel (ruḫsa) im Interesse der Gesamtheit zu sein, die nicht zum Standard werden soll, weswegen sie das Sichten des Mondes in jedem Fall weiter pflegen wollen.

22Pressemitteilung des KRM vom 26.08.2008: Ramadan beginnt am 1.September 2008: Muslime verabschieden gemeinsame Berechnungsgrundlagen. Siehe: http://islam.de/files/misc/ramadan/KRM-Ramadan08-de.pdf (eingesehen am 2.1.2011).

23Selbstdarstellung und Stellungnahmen zum Ramadanbeginn sind der Seite zu entnehmen: www.hrgid.de (letzter Zugriff 19.7.2012).

24Vgl.: Wann beginnt der Ramadân 1433 n.H.?, http://www.mondsichtung.de/wann-beginnt-der-ramadan-1433-n-h/ (letzter Zugriff 19.7.2012) .

25Als Beispiel sei hier die Islamische Zeitung genannt, deren Herausgeber den Willen zur Einheit begrüßen, dennoch aber sehr vorsichtig und kritisch gegenüber den inhaltlichen Begründungen und der methodischen Bestimmung der Ramadanzeiten bleiben, vgl. dazu: Kommentar: Sichtung - Die Art, wie der Ramadanbeginn festgelegt wird, sollte sich an islamrechtlichen Argumenten festmachen, meint Abu Bakr Rieger, 26.08.2009 , http://www.islamische-zeitung.de/iz3.cgi?id=12313 und der Kommentar von Malik Özkan,Triumph des Pragmatismus, 22.07.2011, http://www.islamische-zeitung.de/iz3.cgi?id=14900 (beides zuletzt eingesehen am 19.7.2012).

26Zu den Impulsgebern dieses Prozesses siehe Jörg Schlabach, Scharia im Westen. Muslime unter nicht-islamischer Herrschaft und die Entwicklung eines muslimischen Minderheitenrechts für Europa, Berlin, 2009.

27Siehe. ALLIEVI, S./ NIELSEN, J.: Muslim Networks and Transnational Communities in and across Europe, Leiden, 2003, S. 25.

28Der radikale Rationalismus ist ein Phänomen, dass in der islamischen Geschichte sowohl durch die Strömung der muʿtazila als auch durch die Bewegung der al-muwaḥḥidun seinen Ausdruck fand. Vgl. Bauer/Griffel. Beiden Strömungen war eine ausgesprochene Betonung der Ratio eigen, welche in ihrer Anwendung letztlich auch dazu führe, Andersdenkende zu verurteilen, weil diese trotz ihrer gegebenen Verstandesfähigkeit von dieser keinen Gebrauch machen wollen. Es ist bezeichnend, dass der Qāḍī von Barqa im heutigen Libyen im Jahre 953 zum Tode verurteilt wurde, weil er auf das Sichten des Mondes insistierte und nicht den Anordnungen der Fatimiden Folge leistete. Diese waren nämlich die einzige Dynastie im Laufe der islamischen Geschichte bis zur Moderne, welche die astronomische Berechnung zur Bestimmung der mawāqīt verlangte, vgl. Hamza Yusuf, Ceasarean Moonbirth, S. 21; Michael Brett: The Rise of the Fatimids: The World of the Mediterranean and the Middle East in the Tenth Century, Leiden, 2001, S. 157.

29Überliefert bei at-Tirmiḏī.

30„Time is pervasive in Islamic history, central to language and poetry, indispensable in Islamic astronomy and music, constitutive for Islamic ritual and law, and crucial in Islamic theology, cosmology, and philosophy“, aus: Gerhard Böwering, The Concept of Time in Islam, in: Proceedins of the American Philosophical Society, Bd.. 141, Nr. 1., 1997, S. 56/57.

31Vernon James Schubel: Islamic Calendar, in: Encyclopedia of Muslim-American History, S. 286.

32Im Ramadan ist auch das tarawīḥ-Gebet Gegenstand von Meinungsverschiedenheiten. An der Stelle lohnt es sich auch daran zu erinnern, dass der Gesandte Gottes aufgrund eines Meinungsstreits im Ramadan vergessen hat, wann die Nacht der Bestimmung ist (laylatu l-qadr) ist. Dies ist ein Beleg dafür, wie destruktiv Streit, gerade im Ramadan, sein kann.     

* Der Autor ist Präsident des Rates muslimischer Studierender & Akademiker (RAMSA) in Deutschland und Graduiertenstipendiat der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS). Bacem Dziri arbeitet derzeit am Zentrum für Interkulturelle Islamstudien in Osnabrück (ZIIS) und an seiner Dissertation zum Thema des Fiqh- und Adab al-Iḫtilāf.