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"Die Habgier"

Hanan Qassiti
21.02.2014

Von Hanan Qassiti, ehemalige Vorsitzende der IHV-Bonn und angehende Pharmazeutin

Die Tage ereilen uns immer wieder Schlagzeilen über Menschen, die gezwungen sind ihre Heimat zu verlassen, um zu überleben.  Diese Menschen machen sich voller Hoffnung auf ein sicheres Leben auf den Weg in die „andere Welt“. Die Welt, die im Überfluss und Glück schwelgt und in der sich die Menschen keine Sorgen um Morgen machen müssen.

Das Paradies? Nein, gewiss nicht, aber der Ort an dem jeder seine Kinder großziehen und aufblühen sehen möchte. Jeder will doch seinen Liebesten nur das Beste ermöglichen.

So lesen und hören wir in den letzten Wochen und Monaten immer wieder über Flüchtlinge und Auswanderungen von Menschen in einem erschreckend überdimensionalen Maßstab.

Das bittere Gefühl von Hunger und Durst, der trockene Mund, die sterbenskranken Kinder, die Aussichtslosigkeit und die Angst treiben die Menschen weg von allem, was ihnen etwas bedeutet und lassen ihnen nichts anderes übrig, als ihr geliebtes Zuhause zurückzulassen.

Das Ziel klar vor Augen, der Weg riskant und lebensgefährlich, doch die Hoffnung treibt die Menschen voran. Sie nehmen die Ungewissheit und die Gefahren auf sich, denn sie wollen leben!

Wochenlang marschieren sie zu Fuß, zu Essen gibt es nur, wenn sich ihnen auf diesem Weg jemand erbarmt. Unterwegs sterben etliche.

Wer sein Ziel erreicht hat kann aber noch lange nicht eintreten in die Wonne der „anderen Welt“. Die Hürden scheinen kein Ende zu nehmen, aber solange das Herz pocht und der Magen knurrt, bleiben sie standhaft. Sie müssen sich erst einmal bewähren, Aufnahmetests bestehen! Die Einreise, wie die meisten anderen Kosten müssen sie eigenständig finanzieren. Asyl wird aber letztlich doch nur einer geringen Anzahl gewährt.

Angesichts der großen Not dieser Menschen ist die bescheidene Hilfs- und Gastfreundschaft europäischer Länder empörend. Doch als ob diese Zurückhaltung nicht schon schlimm genug wäre, greift die europäische Politik zu menschenverachtenden Maßnahmen. Es wird keine Rücksicht auf Menschenleben genommen. 

Erst diese Woche kamen Flüchtlinge an der spanischen Grenze ums Leben. Sie waren den Waffen der Grenzpolizei hilflos ausgeliefert.

 „Angemessen“, war die Einschätzung dieses unmenschlichen Schauspiels durch den spanischen Innenminister, so einfach.

So einfach? So einfach!

Denn Sicherheit geht vor Menschenleben oder sollte es eher heißen: Prestige geht vor Menschleben?!

Die Koexistenz von Reichtum und Armut besteht seit Angedenken der Menschheit  und der moralische Ethos unabhängig, ob muslimischen Glaubens oder nicht, hat dem immer eine Möglichkeit geboten sich die Waage zu halten. Warum also ist dies nicht mehr der Fall?

Allah subhanahu wa ta’ala fordert uns im Koran auf uns mit der Geschichte der vergangenen Menschen auseinanderzusetzten. Aus der Vergangenheit sollen wir lernen.

In Surat Al-Qasas (Die Geschichten) wird von dem Missbrauch der Macht berichtet.

Gewiss, Qarun gehörte zum Volk Musas, doch unterdrückte er sie. Und wir gaben ihm solche Schätze, dass deren Schlüssel wahrlich eine schwere Last für eine (ganze) Schar kräftiger Männer gewesen wären. Als sein Volk zu ihm sagte: „Sei nicht übermütig froh, denn Allah liebt nicht diejenigen (Unterdrücker), die zu übermütig froh sind, sondern trachte mit dem, was Allah dir gegeben hat, nach der jenseitigen Wohnstätte, vergiss aber auch nicht deinen Anteil am Diesseits. Und tu Gutes, so wie Allah dir Gutes getan hat. Und trachte nicht nach Unheil auf der Erde, denn Allah liebt nicht die Unheilstifter.

Das Motiv ist also die Habgier, die dazu führt, dass die Menschen keine Gnade zeigen, wenn es um „ihre“ Besitzgüter geht. So horten diese Geld und Gut und zeigen keine erweichenden Herzen bei dem Anblick sterbender Kinder. Wieso auch, sie haben sich das ja schließlich verdient. Der Fortschritt und die Technik, die ihnen diese Position ermöglichte ist die eigene Leistung. Und so schreiten die Menschen in ihrer Arroganz und in ihrem Übermut weiter fort.

So sagte auch Qarun (28:78): „ Es ist mir nur gegeben worden aufgrund von Wissen, das ich besitze.“Wusste er denn nicht, dass Allah bereits vor ihm solche Völker vernichtet hatte, die eine stärkere Kraft als er besaßen und eine größere Ansammlung hatten? Und die Übeltäter werden nicht nach ihren Sünden gefragt.

Wir erkennen also ein typisches Muster wieder, das wir sowohl heute als auch in der Vergangenheit von Allah im Koran geschildert wiederfinden. Eine wahnhafte Besessenheit nach Besitz, die unersättlich zu sein scheint.

An dieser Stelle angekommen können wir Muslime nun alle aufatmen, denn wir fühlen mit diesen Menschen, wir spenden und teilen regelmäßig Bilder auf Social-Media-Plattformen, um auf das grausige Leid, dass durch die aggressive europäische Politik verursacht wird aufmerksam zu machen. Wir sind nicht Schuld an der Armut und dem Trübsal, das dem Großteil der Weltbevölkerung wiederfährt.

Wer diese Meinung teilt, sollte doch bitte aus dem  selbsterrichteten, lächerlichen Gedankenschloss, mit der Aufschrift „unsere Nächsten sind uns die Liebsten“ heraustreten und in aller Ehrlichkeit die Fakten betrachten. Wie sehr liegen uns das Leben und die Würde anderer Menschen tatsächlich am Herzen?

Muslime sind sehr wohl mitschuldig und auch Grund für das Fliehen vieler Menschen aus ihrer Heimat in der Suche nach Zuflucht in Europa.

Allah sagt(28:77): „...vergiss aber auch nicht deinen Anteil am Diesseits...“. Dieser Anteil soll das Gleichgewicht zwischen Arm und Reich erhalten.

Die Zakat gehört zu den fünf Säulen des Islam, damit also eine Grundlage, die für jeden Muslim selbstverständlich sein sollte. Doch viel zu oft, wird diese Armensteuer nicht entrichtet. Jeder meint doch gerade nur so viel zu haben, wie er selbst zum Leben benötigt und Allah erlegt ja immerhin keiner Seele mehr auf, als sie zu tragen vermag. Man arbeitet hart für sein Geld, wenn man mehr davon hätte, das wäre natürlich was anderes.

Zu gut ist uns bekannt, welche Fülle im arabisch-islamischen Raum vorhanden ist, die jedoch lieber in persönlichen Luxus investiert wird .

Wir müssen uns kritisch mit uns selbst auseinandersetzend und uns auch eingestehen, wenn ein kleiner Qarun in unserem Herzen verweilt. Nur, wenn wir das tun sind wir in der Lage, diesen vor die Tür zu setzen. Das wäre allemal nötig und Allah sagt weiter(28:80): Aber diejenigen, denen das Wissen gegeben worden war, sagten: „Wehe euch! Allahs Belohnung ist besser für jemanden, der glaubt und rechtschaffen handelt.“ Aber es wird nur den Standhaften dargeboten.

Es ist also ein gewisses Maß an Selbstkritik und Standhaftigkeit erforderlich, um dieser Pflicht nachzukommen. Damit liegt es sehr wohl auch in unserer Hand, die jetzige Situation unzähliger Menschen zu verändern. Allah prüft den Menschen nicht nur durch Armut, sondern wie auch in  der Geschichte von Qarun durch Reichtum und Besitz. Dieser Besitz kann für uns ein Segen sein, sofern wir standhaft genug sind der Versuchung zu widerstehen und begreifen, dass dies eine Barmherzigkeit von Allah ist.

Uns geht es gut, warum dann nicht auch in der Suche nach dem Wohlgefallen Allahs, dies mit anderen teilen, egal, ob der Bedürftige Muslim ist oder nicht.

 

Möge Allah uns die nötige Standhaftigkeit geben, um unsere Pflichten gegenüber den Menschen und denen gegenüber Allah zu erfüllen!