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Ruhe finden

Kaan Orhon
25.07.2014

Bismillah

Gedanke zum Freitag
Heute von: Kaan Orhon, RAMSA-Vizepräsident und Islamwissenschaftler aus Göttingen

Allah der Erhabene sagt in Seinem Buch in der ungefähren Übersetzung:

„(Es sind) diejenigen, die glauben und deren Herzen im Gedenken Allahs Ruhe finden. Wahrlich, im Gedenken Allahs finden die Herzen Ruhe!“ ((ar-Rad: 28))

Als Muslime wissen wir, dass die Welt nicht ohne Grund ist wie sie ist, dass Leid und Schrecken und Mühsal ein Teil des Lebens sind und uns eine Prüfung, der wir uns in unserem Dasein auf dieser Welt stellen müssen. Aber manchmal scheint es zu viel zu werden, scheint das Leid und die Ungerechtigkeit der ganzen Welt sich wie eine Welle über uns aufzutürmen und dann über uns zusammen zu stürzen. Mehr als je zuvor ist durch technische Entwicklung die Welt nahe gekommen, und das Schicksal von Menschen, die weit von uns entfernt leben, wird für uns sicht- und erlebbar. Eine Schreckensnachricht löst die andere ab, man trauert und fühlt mit bis man nicht mehr weiß, wohin man Auge und Gedanken wenden soll.

Und darin ist für sich nichts Schlechtes, im Gegenteil. Die Gläubigen sind Brüder – und Schwestern – und ʿAlī ibn Abī Ṭālib (ra) erinnert uns, dass alle Menschen von zwei Arten sind: Geschwister im Glauben oder Geschwister in der Menschheit. Die Bindung an andere Menschen, die Nähe, Zuneigung und Offenheit ihnen gegenüber aufzugeben ist der erste Schritt in den Abgrund, der jeder Form von Gewalt, Unterdrückung, Ausbeutung und Diskriminierung vorausgeht. Wir sollten nie nachlassen, diese Bindungen an andere Menschen zu pflegen und sie wiederherstellen, wo sie abgerissen sind. Nicht nur zum Wohle anderer, sondern auch als Schutz für unsere eigene Menschlichkeit und aus Ehrfurcht vor unserem Schöpfer und dem Tag, an dem er uns versammelt. Wer Barmherzigkeit übt, findet Barmherzigkeit, wer anderen Last abnimmt, dem wird Last abgenommen. Darum lasst nicht nach im Fühlen und Sorgen um die Unterdrückten, die Vertriebenen, die Hungernden, die Kranken, die Ausgebeuteten und die Entrechteten, auf den Straßen eurer Stadt und am anderen Ende der Welt!

Doch nicht pausenlos, nicht immer und überall – wer sich daran versucht, alles Unrecht auf seine Schultern zu laden und ohne Unterlass, der wird daran zerbrechen, der wird zerrieben werden zwischen all den Menschen, den Orten, den Themen, die Sorge und Hilfe verdienen. Wenn wir uns diesem Ziel verschreiben,  steht am Ende die Verzweiflung, wenn uns das Scheitern an dem zu hohen Anspruch gewahr wird; entweder stürzen wir in ständige Trauer oder wir bauen sogar Wut auf, auf all jene, die nicht im selben Maße von diesem Streben beseelt sind, wir erhöhen uns über die, die in unseren Augen weniger tun.

Das Fühlen für andere muss immer ein Teil von uns sein, aber es darf uns nicht in die Selbstaufgabe treiben. Wer wirksam helfen will, der muss auch auf sich selbst achten. Wer krank ist, kann nicht heilen  - das gilt für den Körper wie für den Geist.

Darum müssen wir an Körper und – besonders wichtig – Geist gesund bleiben. Wir brauchen Momente der Ruhe, des Friedens, der inneren Einkehr. Wir müssen uns erlauben, Freude an Dingen und Menschen haben, die uns aufbauen. Es muss Tage geben, wo wir einmal ganz unseren Kindern und Ehepartnern gehören, Eltern, anderen Verwandten, Freunden und ja, auch uns selbst; wo wir Freude an der Natur, an Kunst oder auch an Sport haben und natürlich an Gottesdienst und Gottesgedenken. Wann, wenn nicht jetzt, in den uns noch verbleibenden Tagen und besonders Nächten des Ramadan, kann man sich in den Quran vertiefen, sich am gemeinsamen Gebet und der gelebten Geschwisterlichkeit beim gemeinsamen Fastenbrechen freuen oder auch allein für sich in der Dunkelheit und Stille der Nacht gänzlich im Gedenken Allahs versinken.

Wahrlich, im Gedenken Allahs finden die Herzen Ruhe…

So wird die Seele erfrischt, Kummer und Zorn weichen Vertrauen und Hoffnung, und die Kraft, den Einsatz für eine gute Sache wieder aufzunehmen, kehrt zurück. Wie viel Raum und Zeit jeder von uns braucht, ist ganz unterschiedlich, und wichtig ist, dass man ehrlich zu sich selbst ist. Wenn die Verzweiflung nicht weicht und ihr mit Zerstreuung nicht beizukommen ist, muss man damit nicht allein fertig werden. Vor allem jenen, die stets vom Wunsch zu helfen beseelt sind, fällt es manchmal schwer, selbst Hilfe anzunehmen. Beziehungen zu anderen Menschen sollten immer gegenseitig sein, und auch wenn wir uns selbst, davon ausgehend, das wir in einem sicheren, wohlhabenden Land leben, jung, gesund und gebildet sind, vor allem als die Helfer verstehen, sollten wir wahrnehmen, dass auch andere uns helfen können, dass auch Menschen, die scheinbar wenig haben, uns etwas geben können.

Möge Allah der Erhabene unser Herz stets offen machen für die Nöte unserer Mitmenschen, möge Er unser Werk für sie um Seinetwillen annehmen, und möge Er uns gleichsam davor bewahren, dass wir uns ob unseres Werkes über andere erhöhen oder aber uns zu viel aufladen und daran zerbrechen. Möge Er seine Ruhe in unsere Herzen senden und uns Frieden schenken. Amin.

In diesem Sinne wünscht euch der Vorstand des RAMSA einen gesegneten Freitag und ein schönes Wochenende.