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„Neujahrs-Vorsatz“

Danyal al Agha
17.10.2015

Bismillah

Gedanken zum Freitag
„Der Wunsch ist ein Wille, der sich selbst nicht ganz ernst nimmt.“ (Robert Musil)
heute von Danyal al Agha


Frohes Neues Freunde des Lichts. Am Mittwoch betraten wir das Jahr 1437 und irgendwie scheint so ein neues Jahr jedes Mal diesen magischen Effekt zu haben, all jene verstaubten Selbstveränderungswünsche aus den Winkeln und Ecken unser Innerstes, wieder an die Oberfläche zu holen. 

Nun stehen sie da und glotzen uns an. Vorsätze. Eventuell die selben der letzten 7 Jahre, oder 3. Mehr Sport, geordneter Schlaf. Mehr Zeit für’s Lesen, weniger für’s Zocken. Uni, Arbeit, Ausbildung, Schule, alles wird nun optimiert! Im neuen Jahr. Dafür ist es schließlich da. Es ist ja nur deshalb gekommen, damit bei uns alles besser wird. Mit dem Rauchen aufhören, mehr Wasser trinken. Heißt: Weniger Kaffee. Als würde vom Kaffee der Körper dehydrieren. Franz Kafka schloss das ebenfalls aus: „Kaffee dehydriert den Körper nicht, ich wäre sonst Staub.“

Manchmal versuchen wir es radikal; alles muss von heute auf morgen geändert werden, denn zu lange haben wir es aufgeschoben. Dann erkennen wir, dass wir Menschen nicht die großen Freunde von radikalen Veränderungen sind. Schon gar nicht, wenn es uns an den Kragen geht. Wenn wir in unserer Bequemlichkeit, in Lust und Trieb unseres Egos beschnitten werden sollen. Aber manch Trieb schadet und manch Lust behindert. Es wäre förderlich für unsere Beziehung zu Gott, wenn wir einen Teil des Tages, noch besser der Nacht, ausschließlich ihm widmen. Die Stunde vor Eintritt des Morgengebets im Gespräch mit dem königlichen Schöpfer, dem hörenden und sehenden Barmherzigen, verbringen. Ja förderlich wäre es, für uns und unsere Umwelt. Aber unser Ego möcht’ schlafen. Mehr als eigentlich nötig. Im Winter sind die Tage kurz, was eine ideale Motivation ist, um öfters zu fasten. Um Verzicht und Selbstdisziplin zu üben. Aber unser Ego..

Nun, man bemerke an dieser Stelle, dass diese Beispiele und Ausführungen individuell gehandhabt werden müssen. Jeder wird seine persönlichen Stärken und Schwächen, besser noch: seine persönlichen Unausgeglichenheit erkennen müssen.

Die islamischen Mystiker, die Sufis, die Esoteriker, die Gottesfreunde und Gottessucher, man nenne sie wie man will. Ich spreche von Persönlichkeiten wie Hassan al Basri (642-728), Rabia al Adawiyya (717-801), al Junayd (gest. 910), Imam al Quschairi (986-1072) und Imam al Ghazali (1058-1111), wobei sich diese Liste bändelang fortführen ließe. Häufig werden sie in ihrer Interpretation reduziert, sie seien Menschen, die spirituell eigene Erfahrungen gemacht haben, Menschen die durch Liebe und Barmherzigkeit zu Gott gefunden haben. Diese Narrative ist auch völlig richtig und anzunehmen, nur wird manchmal dabei vergessen, dass sie auch gleichzeitig akkurate Forscher waren. Wissenschaftler der tiefsten Psychologie, Mediziner der innersten Krankheiten. In ihren hinterlassenen Werken finden sich großartige und tiefgreifende Analysen zur Tiefenpsychologie. Detaillierte Beschreibungen innerer Dimensionen, die unter keinem Mikroskop zu sehen sind. Filigrane Unterscheidungen von Regungen und Bewegungen unserer Gefühlswelt. Theoretische und sehr praktische Kapitel über den Pfad zu Gott. Generelle und individuelle Leitfäden.

Eine solche Unterscheidung finden wir in einigen Werken zur Überschrift dieses Artikels: den Vorsätzen. Ein Vorsatz lässt sich laut dem Duden als „etwas, was sich jemand bewusst, entschlossen vorgenommen hat; feste Absicht; fester Entschluss.“ definieren. Es geht also um den Willen einen bestimmten, verändernden Akt durchzuführen, und dies fest. In den Werken islamischer Forscher ist oft die Rede von verschiedenen Etappen, die man gedanklich/geistig passiert, bevor es zur Tat an sich kommt. Zahlenmäßig variieren sie, hier seien nun 4 aufgezählt:

An erster Stelle steht der „Khatir“, der sich vielleicht als „Einfall“ übersetzen lässt. Er taucht spontan auf, muss aber keine weiteren Konsequenzen nach sich tragen. Einfälle dieser Art haben wir viele, sehr viele. Sie sind eher subtil und nehmen erst eine Form an, wenn wir ihnen Aufmerksamkeit widmen.
Denn dann kommt es zur zweiten Etappe: Dass man sich mit dem Einfall beschäftigt, über ihn nachdenkt, eine Umsetzung in Erwägung zieht. Man hat aber noch keine konkrete Absicht formuliert, denn diese entsteht erst im folgenden Stadium.

Die Absicht. An Niyyah. Hierbei formuliert man die Absicht, eine bestimmte Handlung, aus einem bestimmten Motiv heraus zu tun.
Es wird konkreter: Bei der ‘asima existiert nun so etwas wie ein Plan. Man hat die Absicht fest formuliert und strebt darauf zu.
Dann folgt die Tat selbst.

Solche Unterteilungen zu verstehen und auf sich anzuwenden kann sehr hilfreich wenn es darum geht Vorsätze umzusetzen. Man beobachte nur mal wo sich unser formulierter Vorsatz tatsächlich verorten lässt; ist es eher ein kurzer Einfall, vielleicht eine Art Wunschdenken? Dann kann ich sehr passend ein Zitat anführen, das ich vor einigen Tagen (schicksalshaft!) im Berliner Fenster las (der Fernseher in der U-Bahn der BVG): „Der Wunsch ist ein Wille, der sich selbst nicht ganz ernst nimmt.“ (Robert Musil)
Eine Niyyah oder eine ‘asima haben das Potenzial zu Taten zu werden. Zum Schluss sei ein sehr motivierender Ausspruch vom bereits oben erwähnten großen Lehrer al Junayd zitiert: „Wer für sich selbst das Tor zu einer reinen Absicht* öffnet, dem öffnet Gott 70 Tore des Erfolges.“

In diesem Sinne wünsche ich der gesamten Welt da draußen einen gesegneten Freitag und ein reines, bewusst-gelebtes Jahr.