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Der Wert der Erinnerung

Kaan Orhon
11.07.2014

Bismillah

Gedanke zum Freitag
Heute von: Kaan Orhon, RAMSA-Vizepräsident und Islamwissenschaftler aus Göttingen

Alija Izetbegović, der erste Präsident der Republik Bosnien-Herzegowina und einer der überragenden europäischen muslimischen Denker und Aktivisten sagte über den Massenmord in Srebrenica:

"Wer ist schuld? – Die größte Schuld tragen definitiv die Mörder und ihre Auftraggeber, aber wir sind alle schuld, wir alle Überlebenden, nur nicht die Opfer. Wenn etwas so Schreckliches passiert, wie Srebrenica, dann ist niemand unschuldig, jeder Mann und jede Frau ist schuldig, weil die Welt so ist, wie sie ist und weil so eine Welt möglich ist, in der Srebrenica möglich ist."

Zum zweiten Mal in recht kurzer Zeit organisieren der RAMSA und seine Mitglieder ein Projekt, das der Erinnerung an ein Verbrechen gewidmet ist – heute und in den vergangenen Tagen gedachten wir dem schlimmsten Verbrechen auf europäischen Boden seit 1945, dem Mord an über 8.000 bosnischen Muslimen in der ostbosnischen Stadt Srebrenica und im weiteren Sinne dem Völkermord an den Bosniaken in den Jahren 1992-1995, der Ermordung von vielen Zehntausenden von Menschen, der Vertreibung oder „ethnischen Säuberung“ von Millionen, der Vergewaltigung von über 20.000 Frauen und Mädchen und der versuchten Auslöschung der bosniakisch-muslimischen Kultur durch die Zerstörung von ungezählten Moscheen, Medresen, Friedhöfen und weltlichen Gebäuden von unschätzbarem kulturellen Wert.

Aber wieso in dieser Form erinnern, fragen manche. Kritik wird geäußert, mal mehr mal weniger sachlich: vom Einrichten in einer Opferrolle ist die Rede oder es wird gefragt, ob es nicht genügend aktuelle Verbrechen gäbe, dass man ein fast 20 Jahre altes „hervorkramen“ muss.

Unser Versuch, die Erinnerung an dieses dunkle Kapitel jüngster europäischer Geschichte wachzuhalten, hat nichts mit einer „Opferrolle“ zu tun; es geht weder um rituelles Beweinen eines vergangenen Ereignisses, auch wenn wir menschlich den Angehörigen der Opfer in aufrichtiger Trauer und Mitgefühl verbunden sind, noch um irgendeine Art Demonstration, dass auch „die Muslime“ Opfer waren und „die Serben“, „die Christen“, „der Westen“ Täter. Dem Schwarz-Weiß-Denken der Islamhasser und ihren Hetzmythen von der „islamischen Bedrohung“ ein ebenso simpel konstruiertes Weltbild mit verkehrten Rollen entgegen zu setzen, sich dem Denken von „wir gegen die“ zu verschreiben hat nie zum Selbstverständnis des RAMSA, seiner Arbeit und seiner Vision gehört.

Wir richten uns mit diesem wie mit all unseren Projekten an Muslime und Nichtmuslime gleichermaßen, an Studierende und Akademiker wie auch an andere, um Verständnis dafür zu wecken, dass – wie es im Eingangszitat heißt – wir alle verantwortlich dafür sind, dass die Welt ist, wie sie ist und das wir auf der Basis unserer islamischen Überzeugungen uns darauf vorbereiten, gefragt zu werden, was wir getan haben, um sie zum Besseren zu verändern.

Erinnern an Srebrenica ist nicht Schuldzuweisung von Muslimen an Nichtmuslime sondern Mahnung von Menschen an Menschen über die Folgen von Hass, Angst und deren politischer Instrumentalisierung, damals, heute und in der Zukunft.

Muslimische Länder und Gesellschaften sind nicht frei von dem Geist, der Srebrenica geschaffen hat, das hat die Geschichte bewiesen; wie könnten sie, liegt doch der Abgrund von Gewalt und Blutvergießen seit der Erschaffung des Menschen in uns allen verborgen und wartet darauf, an die Oberfläche gebracht zu werden.

Darum sollte das gemeinschaftliche Erinnern uns helfen, uns auf die besten und edelsten Eigenschaften unserer menschlichen Natur zu besinnen und als Ansporn dienen, die Welt im Rahmen unserer Möglichkeit ein Stück weit zu verändern, sie besser und gerechter zu hinterlassen.

Möge Allah der Erhabene sich der Seelen der Opfer erbarmen, möge Er der Trost und die Stärke der Hinterbliebenen sein, möge Er uns zu Zeugen machen für das Vergangene und für Gerechtigkeit. Möge Er uns helfen, uns für das Gute einzusetzen und möge Er am Tage der Abrechnung mit dem zufrieden sein, was wir voraus schicken. Amin.

In diesem Sinne wünscht euch der Vorstand des RAMSA einen gesegneten Freitag und ein schönes Wochenende.

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