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Psychologie des Spendens

Selda Isik (M.Sc. Psych.)
24.06.2015

Warum spenden wir? Was motiviert uns dazu? Selda Isik (M.Sc. Psych.) eine unserer Psychologinnen aus unserem Netzwerk für muslimische Psychologinnen und Psychologen des RAMSA hat sich mit dem Thema Psychologie des Spendens beschäftigt. Gerade im Ramadan ist das Spenden neben dem Fasten eines der Gottesdienste, die eine enorme Wichtigkeit haben. In diesem Sinne verstehen wir warum uns Spenden nicht nur im Jenseits Belohnung bringt, sondern auch im Diesseits. Ramadan Kareem wünscht das Netzwerk muslimischer Psychologinnen und Psychologen des RAMSA.

 

Psychologie des Spendens von Selda Işık (M.Sc. Psych.)

Dass das Spenden eine gute Sache ist – darüber sind sich alle einig. Doch Spenden ist nicht für jeden eine Selbstverständlichkeit. Das Spendenverhalten ist von vielen Faktoren abhängig. Was regt den Menschen an, seine Zeit, seine Energie oder sein Vermögen zu opfern, um anderen Menschen zu helfen?

Das Spenden kann zunächst als ein Aspekt des altruistischen Verhaltens gesehen werden. Der Altruismus ist der Gegenspieler des Egoismus und bedeutet, dass eine Verhaltensweise einem anderen Menschen gegenüber mehr Kosten als Nutzen bringt. In der Sozialpsychologie setzte sich der Begriff des Altruismus als ein Synonym für das „prosoziale Verhalten“ durch. Die Idee des Altruismus bietet eine Erklärung dafür, warum überhaupt Menschen anderen Menschen, die sie nicht kennen und die nicht einmal unmittelbar aus ihrer Nähe sind, unter die Arme greifen. Ohne eine Kosten-Nutzen-Analyse zu betreiben, wird einem Menschen mit dem Wissen, mehr zu investieren als letztlich äußerlich zurückzubekommen, geholfen.

Doch nicht jeder Mensch ist mit einer altruistischen Persönlichkeit ausgestattet. Wieso aber gibt es große Unterschiede zwischen den Menschen? Manche sind durch und durch egoistisch, andere mehr als selbstlos, was das Spenden betrifft. Letzteres ist in der heutigen Zeit eher selten anzutreffen. Ein Erklärungsansatz, der die wohl bedeutendste Rolle spielt, ist die Eigenschaft der Empathie, die mehr oder weniger in jedem Menschen steckt (Blair, 2005). Empathie beschreibt die Fähigkeit, sich sowohl kognitiv (gedanklich) als auch affektiv (gefühlsmäßig) in einen anderen Menschen hineinzuversetzen. Diese Gabe befähigt dazu, sich die inneren, mentalen Zustände anderer Menschen vorstellen zu können und liefert eine Einschätzung, ob und wann eine andere Person Hilfe benötigt. So helfen Menschen mit größerer Empathie häufiger (Davis, 1994).

Das Prinzip der Reziprozität, auch „Gegenseitigkeit“ genannt, besagt, dass Menschen dazu neigen, einen sozialen Ausgleich herzustellen. Die Reziprozitätsregel ist ein Konzept, welches die Entwicklung der Menschheit begünstigt und soziale Fortschritte gefördert hat. Aus ökonomischer Sicht verschlechtert der Spender zwar seine finanzielle Lage, doch als Gegenleistung erhält er das wohltuende Gefühl, ein guter und verantwortungsbewusster Mensch zu sein. Während man spendet, beruhigt man die Gedanken, da man jemandem aus der Not geholfen und ihn somit glücklich gemacht hat. Der Gewinn des Spendens ist zwar nicht objektiv oder materiell, dafür aber affektiv. Aus einer umfassenderen Perspektive betrachtet kann das Spenden auch als eine Wiedergutmachung für schlechte Taten eingesetzt werden.

Die Motive, die zum Spenden anregen, sind individuell unterschiedlich. Zentral für die islamische Tradition ist die „Norm der sozialen Verantwortlichkeit“, die besagt, dass man hilfebedürftigen Menschen in Notlagen helfen sollte. Aktuelle Studien zum Spendenverhalten von Migranten zeigen, dass die Wahrscheinlichkeit zu spenden bei muslimischen Migranten mit zunehmender Religiosität deutlich ansteigt, besonders dann, wenn sie in ihrem Umfeld engagiert sind. Bei Migranten anderer Herkunft ist dies zwar auch festzustellen, aber nicht so sehr wie dies bei den Muslimen der Fall ist (Schmidt, 2011). Es besteht also ein Zusammenhang zwischen dem Spendenverhalten und der religiösen Herkunft. Dieser Effekt kann damit erklärt werden, dass das Entrichten der Zakah eine religiöse Pflicht ist und Muslime an vielen Stellen im Koran auf die Wichtigkeit des Spendens aufmerksam gemacht werden.

Der Individualismus veranlasst junge Menschen, den eigenen Wünschen und Interessen zu folgen. Doch dass das Geben seliger ist als das Nehmen, behauptet auch die Wissenschaft. Eine Studie des Institute for Social Research konnte nämlich zeigen, dass sich besonders selbstlose Menschen nicht nur langfristig besser fühlen, sondern auch länger leben (Brown, 2002). Menschen, die in Traurigkeit versinken oder gar depressiv sind, konzentrieren sich stärker auf sich selbst und erhalten weniger soziale Unterstützung von außen (Mor & Winquist, 2002). In der Regel sind Menschen, die für die Bedürfnisse anderer empathischer und aufmerksamer sind, die glücklicheren Menschen. Moralische und hilfsbereite Menschen werden als liebenswürdiger wahrgenommen. Das ermöglicht das Leben in stabilen sozialen Netzen und das Erhalten von Unterstützung (Bucher, 2009). Das Gehirn belohnt selbstlose Handlungen mit Wohlgefühlen, die denjenigen ähneln, die durch gutes Essen oder auch Drogen hervorgerufen werden (Eisenberger, 2010).

Zwei der essentiellen Aspekte im Islam sind der Einfluss des Einzelnen auf die Gemeinschaft und seine Unterstützung derselben sowie auch die Unterstützung des Einzelnen durch dieselbe. Auf die Wichtigkeit einer verbundenen Gesellschaft werden die Muslime sowohl im Koran als auch in der Sunna hingewiesen. Die Religionen fördern mit Hilfe von Ritualen die Abstimmung der gemeinsamen Bedürfnisse unter den Menschen und binden sie in den Alltag ein (Voland, 2010). Es ist auffällig, dass große Naturkatastrophen und deren Darstellung in den Medien viele Menschen zu Spenden mobilisieren, wenn auch nur für kurze Zeit. Grundsätzlich orientieren sich Menschen bei ihren Entscheidungen an anderen Menschen – so auch beim Spenden. Man spendet eher, wenn andere vorher gespendet haben, und passt die Höhe der Summe den vorhergehenden Spenden an. Ist eine Spendendose leer, wird sie mit großer Wahrscheinlichkeit auch leer bleiben. Durchsichtige Boxen sind ein kleiner Trick, um zum Spenden anzuregen.

Spenden muss nicht immer bedeuten, viel zu geben oder gar Geld zu spenden. Ein entscheidender Faktor, welcher das Spendenverhalten beeinflusst, ist das Empfinden einer moralischen Verpflichtung (Knowles et al., 2012). Nach islamischer Sicht existiert Wohltätigkeit in verschiedenen Formen. Wohltätiges Handeln geschieht dadurch, dass man das gibt, was vorhanden ist. Somit ist jeder Mensch in irgendeiner Form in der Lage, etwas zu geben – sei es Geld, Zeit oder auch Aufmerksamkeit. Im Islam gilt schon das Lächeln als eine wohltätige Spende, um anderen Menschen ein Stück Glück zu schenken.