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Reisebericht - Bildungsreise nach Bosnien

Tuba Badem
21.08.2014

Es gibt Menschen, die gerne verreisen. Wenn diese, auf beispielsweise einer sozialen Plattform, gebeten werden ihre Interessen anzugeben, dann ist es auch meist das Reisen, welches primär aufgeführt wird. Fragt man diese Reisenden nun, was genau ihnen daran so viel Freude bereitet, so wird einem neben dem Kennenlernen einer neuen Kultur, meist „Reisen bildet“ als Beweggrund genannt. Dies scheint eine anerkannte These zu sein, denn es folgt darauf meist ein bejahendes Murmeln oder ein zustimmendes Nicken. Kann aber allein die Tatsache, dass ein Mensch sich nicht in seiner vertrauten Umgebung befindet, sondern sich in einer fremden Gesellschaft bewegt, ihn auch wirklich bilden?

Es gibt heute viele Bildungsangebote für Erwachsene. Diese umfassen ein breites Spektrum, von schulischen Weiterbildungsmöglichkeiten bis hin zu verschiedenen Volkshochschulkursen. Aber so selten nur das Wahrnehmen eines solchen Angebotes dem Teilnehmer die Aufnahme des angebotenen Wissens garantiert, so selten attestiert die alleinige Reiseteilnahme einer Person dessen neu erworbenes Länderwissen.

Damit ein Reisender neue und vor allem vielseitige Perspektiven gewinnen kann, muss eine entsprechende Intention gegeben sein. Theodor Fontane beschreibt dies wie folgt: Wer reisen will, der muss zunächst Liebe zu Land und Leuten mitbringen, mindestens keine Voreingenommenheit. Er muss den guten Willen haben, das Gute zu finden, anstatt es durch kritische Vergleiche totzumachen.
Auch die Bosnienreise des RAMSA stellte primär ein Bildungsangebot dar. So war das Programm  abwechslungsreich gestaltet, umfasste Stadtrundgänge, Natursehenswürdigkeiten, Führungen, Museumbesuche, sowie Informationen zur Religion, Politik und Geschichte Bosniens.

Hatte man sich mit letzterem zuvor nicht befasst, so stellten die Informationen wichtige Ergänzungen dar, denn „vom Krieg ist [in Sarajevo] nichts zu sehen, man muss davon wissen, um die muslimischen Friedhöfe zu verstehen, die sich wie kalbende Gletscher von den Bergen ins Tal senken, von allen Seiten, wegschmelzend, einzelne Schneewehen hinterlassend in einem gewöhnlichen Park, auf den Grasstreifen am Fluss, in Straßenbiegungen im Zentrum, in den Vorgärten gewöhnlicher Häuser. Man muss davon wissen, um die eingravierten Sterbedaten zu bemerken, die alle nicht weiter als vier Jahre auseinanderliegen“ (Zeh, Juli. Die Stille ist ein Geräusch).

Ein Besuch auf dem Friedhof von Srebrenica hingegen zeigte einem jedem, wie deutlich der Krieg, trotz aller Verbergungsversuche der Täter, Spuren hinterlassen kann. Man konnte dieser regelrecht folgen, dank der Auflistung der Opfernamen, des Konzentrationslagers, sowie dem Anblick der vielen weißen Grabsteine.

Die Stärke solch einer organisierten Reise liegt darin, dass es Programmpunkte abdeckt, wie beispielsweise die Erzählungen der Zeitzeugin Hatidza Mehmedovic, die man bei selbstständiger Expedition nicht derart erfassen kann.

Jeder, der diese Gedenkstätte besucht und aufrichtig mit den Opfern dieses Verbrechens mitgefühlt hat, wird auch das Bedürfnis nach Tatendrang verspürt haben, denn nur „am Ort des Verbrechens zu stehen ändert nichts“ (Zeh, Juli. Die Stille ist ein Geräusch). Auch wenn es zwölf Jahre gedauert hat, wurden die Morde letztlich sogar von dem Internationalen Gerichtshof zum Genozid deklariert. Wenn es heute aber dennoch Menschen gibt, die diesen Völkermord folgenlos der Lüge bezichtigen und somit die Angehörigen und Opfer diffamieren, dann liegt es an uns, den Shuheda, mit den Mitteln die uns zur Verfügung stehen, der Leugnung und dem Vergessen entgegenzutreten.

Auch wenn Bosnien sich primär aufgrund des Krieges in unsere Gedächtnisse eingeprägt hat, erkennt der Reisende, dass es sich gewiss nicht nur auf dieses beschränkt, sondern ihm eine Gesellschaft vorgestellt wird, die ihr kulturelles sowie religiöses Reichtum, trotz der frühen Geschichte, inmitten Europas mit Stolz präsentiert.

Tatsächlich wird einem Teilnehmer während solch einer Reise so manches wieder ins Gedächtnis gerufen. Bin ich beispielsweise wirklich fähig die vielzitierte Vielfalt statt Einfalt Formel wertzuschätzen, wenn mir in einer großen Gruppe Menschen mit ihren jeweiligen Eigenarten begegnen, oder störe ich mich daran, weil es Eigenschaften sind, mit denen ich bisher selten konfrontiert wurde? Wie betrachte und bewerte ich andere Lebensweisen in dem jeweiligen Land, sehe ich in ihnen eine Alternative, oder vergleiche ich sie abschätzig mit dem mir bereits bekanntem?

Eine Reise bietet dem Teilnehmer stets ein vielseitiges Angebot an neuen Perspektiven auf verschiedensten Ebenen. Die Annahme des Angebotenen, bzw. der Wandel einer Reise zu einer tatsächlichen Bildungsreise, erfolgt allerdings nur durch die entsprechende Reflexion, denn „wo echter Hang zum Nachdenken, nicht bloß zum Denken dieses oder jenes Gedankens herrscht, da ist auch Fortschreiten“ (Novalis).